HAMBURGER ABENDBLATT: Pressespiegel Hamburger Abendblatt
Geschrieben am 27-02-2014 |
Hamburg (ots) - Leitartikel Hamburger Abendblatt
Freispruch erster Klasse
Ein Kommentar von Matthias Iken
Am Ende des Kesseltreibens herrscht betretenes Schweigen. Das
Gericht hat Christian Wulff, der vor zwei Jahren von einem Sturm der
Empörung aus dem Amt des Bundespräsidenten gefegt wurde,
freigesprochen. Es ist ein Freispruch erster Klasse - "für die
erlittenen Durchsuchungen" steht dem Niedersachsen eine Entschädigung
zu. Für das ehemalige Staatsoberhaupt ist es ein Moment des Triumphs,
für den Rest der Republik ein Moment der Demut und des Innehaltens.
Die Staatsanwaltschaft etwa hatte sich zuletzt in ihrem starren
Festhalten an der Anklage fast schon blamiert. Von der Fülle der
Vorwürfe - von der Annahme eines Kredites unter Freunden,
Gratisurlauben und Vergünstigungen - war am Ende wenig, ja lächerlich
wenig übrig geblieben. Am Ende ging es um ein Hähnchen und ein Glas
Sekt: Der Vorwurf "Korruption", der nach Schweizer Konten und
Schwarzen Kassen klingt, war zusammengeschnurrt auf eine
Oktoberfest-Verköstigung durch den Filmmanager David Groenewold.
Deshalb, so der fast schon groteske Vorwurf der Ankläger, habe Wulff
sich später für den Film Groenewolds stark gemacht. Man muss extrem
unbedarft in politischen Fragen sein, um einen solchen Zusammenhang
zu konstruieren.
Innehalten sollten auch die Medien - die Causa Wulff war kein
Ruhmesblatt, auch nicht für den Verfasser dieser Zeilen. Am Anfang
standen berechtigte Fragen, Recherchen, die zur Arbeit der
Journalisten unbedingt dazugehören. Mehr und mehr aber hat sich in
der Medienrepublik die Jagd nach der Nachricht in eine Treibjagd auf
den Präsidenten verwandelt. Und weil jeder mitschießen wollte,
landeten die seltsamsten Treffer auf Nachrichten-Seiten, in
Zeitungsspalten und Fernsehschirmen. Deutschland diskutierte
ernsthaft, ob ein geschenktes Bobbycar für den Präsidentensohn nicht
den Tatbestand der Korruption erfülle. Und empörte sich über die
Tatsache, dass die Wulffs für Übernachtungen bei Freunden nicht 150
Euro bezahlten. Welch Bigotterie.
Die Facebook-Demokratie ist im Fall Wulff an ihre Grenzen
gestoßen. Es gibt Fragen, die etwas komplexer sind, als dass sie sich
mit gefällt mir oder gefällt mir nicht beantworten lassen. Nicht
alles, was missfällt, taugt gleich zum Skandal: Christian Wulff hat
zweifellos viele Fehler begangen, hat zu langsam und zu defensiv auf
Vorwürfe reagiert, hat sich in seiner selbstverliebten Art angreifbar
gemacht. Im Schloss Bellevue drängte sich der Eindruck auf, das Amt
sei eine Nummer zu groß für den Rechtsanwalt aus Osnabrück.
Maßlos aber war die Empörung über seine Vergehen. Und fast alle
stimmten ein - ohne Rücksicht auf das Amt und das Bild der Politik
insgesamt. Um sich selbst ins Licht zu rücken, waren viele
Parteifreunde und Gegner bereit, das Ansehen der Berliner Republik
weiter zu ramponieren. Sigmar Gabriel etwa sprach der "Type im
Bundespräsidialamt" sogar das Recht auf den Zapfenstreich ab; Claudia
Roth zürnte über einen spießigen, kleinbürgerlichen, weinerlichen
"Schnäppchenjäger".
Auch viele Bürger haben sich in dieser Causa nicht mit Ruhm
bekleckert. Demonstranten warfen mit Schuhen, als sei ein Despot ins
Schloss Bellevue eingezogen; Protestierer überdröhnten noch den
Zapfenstreich mit Vuvuzelas, pfiffen mit Trillerpfeifen und brüllten
"Schande".
Die Schande, das zeigt das Urteil des Hannoveraner Landgerichts,
aber ist eine andere. Christian Wulff hilft das wenig - er bekam die
Höchststrafe, bevor das Gericht geurteilt hat. Er verlor sein Amt,
seine Frau, seine Ehre. Immerhin hält die Republik nun kurz inne.
Vielleicht zieht sie sogar Lehren aus dem Fall Wulffs. Die nächste
Aufregung sollte eine Nummer kleiner, die nächste Empörung schwächer,
die nächste Treibjagd ganz ausfallen. Urteile sollten nicht Medien,
Oppositionelle oder Wutbürger fällen, sondern Gerichte.
Pressekontakt:
HAMBURGER ABENDBLATT
Ressortleiter Meinung
Dr. Christoph Rind
Telefon: +49 40 347 234 57
Fax: +49 40 347 261 10
christoph.rind@abendblatt.de
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