Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar: Urteil gegen Berlusconi
Italienische Anomalie
Julius Müller-Meiningen, Rom
Geschrieben am 15-04-2014 |
Bielefeld (ots) - Mit Gerechtigkeit hat die Entscheidung der
Mailänder Richter nichts zu tun, eher mit falscher Rücksichtnahme auf
eine brisante politische Situation. Das Gericht hat entschieden, dass
der ehemalige italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi in
einem Heim für Behinderte und Senioren Sozialstunden leisten muss.
Das ist die Konsequenz aus seiner Verurteilung wegen Steuerbetrugs im
Zusammenhang mit seinem Medienunternehmen Mediaset. Ein Jahr lang,
bei guter Führung vielleicht nur zehn Monate, wird der 77 Jahre alte
Senior einmal in der Woche vier Stunden lang hilfsbedürftige Senioren
betreuen. Die Strafe wirkt auf den ersten Blick ebenso milde wie
absurd. Im Frühjahr 2015 erhält Berlusconi, der die Vollstreckung
seiner Strafe im Hausarrest befürchtete, seine politische und
persönliche Bewegungsfreiheit komplett zurück. Schon jetzt haben ihn
die von ihm neuerdings als "Mafia" und seit Jahrzehnten als
"Kommunisten" beschimpften Richter mit Samthandschuhen angefasst. An
drei Tagen pro Woche kann Berlusconi wie von ihm beantragt nach Rom
reisen und sich um seine im Umfragetief steckende Partei "Forza
Italia" kümmern. Die Entscheidung der Richter ist die Folge einer
italienischen Anomalie. In Italien werden Gerichtsurteile nicht im
Grundvertrauen auf eine in Einzelfällen möglicherweise irrende, aber
in ihrer Gesamtheit vertrauenswürdige Justiz akzeptiert. Richter
werden in der Öffentlichkeit oft als politisiert dargestellt. Der
Medienunternehmer Berlusconi hat diese Interpretation der
Wirklichkeit mit Hilfe seines Medienimperiums perfektioniert. Auch
die Mailänder Richter sind nun auf ihre Weise Opfer der italienischen
Verhältnisse geworden, indem sie die für Berlusconi unerlässlichen
Rom-Ausflüge genehmigten. In einer funktionierenden Demokratie würde
der verurteilte und anschließend zurückgetretene politische Führer
von einem Nachfolger abgelöst. Nicht so im Fall Berlusconi. Bei den
Richtern entfaltete fälschlicherweise das Argument Wirkung, ein
politischer Führer, der bei den vergangenen Wahlen noch knapp zehn
Millionen Wählerstimmen errang, benötige "politische
Bewegungsfreiheit".
Pressekontakt:
Neue Westfälische
News Desk
Telefon: 0521 555 271
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