DER STANDARD-Kommentar: "Wegsperren und vergessen" von Petra Stuiber
Geschrieben am 21-05-2014 |
Resozialisierung als Ziel des Strafvollzugs nimmt offenbar
kaum noch jemand ernst (Ausgabe ET 22.5.2014)
Wien (ots) - Jetzt ist schon wieder etwas passiert im
österreichischen Strafvollzug. Nicht zum ersten Mal, und nicht zum
ersten Mal in der Anstalt Stein-Krems. Jetzt sind wieder alle
entsetzt, und der gerade zuständige Justizminister Wolfgang
Brandstetter hat erst einmal drei zuständige Beamte suspendiert und
eine "größere Reform" im Maßnahmenvollzug angekündigt.
Nun könnte man einwenden, das passiere ziemlich spät (schließlich
ermittelt die Staatsanwaltschaft seit März) und erst, nachdem Falter
und andere Medien den Fall aufgegriffen haben. Man könnte auch
argwöhnen, es sei unwahrscheinlich, dass der Minister rein gar nichts
von den unhaltbaren Zuständen in den Justizanstalten gewusst haben
will - immerhin ist seine direkte Vorgängerin de facto über einen
vergewaltigten minderjährigen Häftling gestolpert. Ganz zu schweigen
von zahlreichen parlamentarischen Anfragen zum Thema. Aber sei's
drum, kleinliche Aufrechnung löst das Problem auch nicht. Wenn
Brandstetter bereit ist, das gesamte System zu ändern, braucht er
jede Unterstützung dieser Welt.
Dringend notwendig und hoch an der Zeit wäre ein Systemwechsel auf
jeden Fall. Und bevor sich jetzt alle wieder auf den allseits
beliebten Personalmangel ausreden: Auch ein paar dutzend Beamte mehr
werden am Grundproblem im Strafvollzug nicht viel ändern.
Seit Jahrzehnten ist der Resozialisierungsgedanke, den Christian
Broda mit viel Mühe in den 1970er-Jahren in Österreichs Gefängnissen
implementiert hatte, nur mehr in Spurenelementen vorhanden. "Aus den
Augen, aus dem Sinn" scheint das Motto im Umgang mit straffällig
Gewordenen zu sein: Wegsperren und vergessen ist schließlich bequemer
- und macht Regional- und Kommunalpolitikern auch viel weniger Stress
bei den Wählern. Wo ambulante Nachbetreuung von psychisch kranken
Exhäftlingen der einzig richtige Weg wäre, putzen sich alle ab - und
die Betroffenen landen, zutiefst menschenrechtswidrig, für Jahre im
"Maßnahmenvollzug". Dass die Justiz mit immer mehr psychisch Kranken
überfordert wird, ist die logische Konsequenz.
In Österreichs Gefängnissen muss man die Sozialarbeiter
mittlerweile mit der Lupe suchen - die Uniformierten geben den Ton
an. Das hat Folgen: im Umgang mit den Inhaftierten, im
grundsätzlichen Zugang zu den Themen "Schuld" und "Sühne" - und im
Hinblick auf das mehr als selbstbewusste Auftreten als Berufsgruppe.
Justizinsider berichten immer wieder von der teilweise abstrusen
Machtlosigkeit der Gefängnisdirektoren gegenüber ihren
Justizwachebeamten - egal, ob die nun bei Personalvertretungswahlen
Rot, Schwarz oder Blau wählen.
Dazu kommen Mängel in der Ausbildung - nicht nur der
Justizwachebeamten, sondern auch von Staatsanwälten und Richtern:
Längst müssten psychologische und psychiatrische Grundkenntnisse
Pflicht sein, um zumindest nicht grundlegend falsche Entscheidungen
über Menschenleben, mit fatalen Folgen, zu treffen. Stattdessen wird
ausgerechnet bei den Gutachten gespart, wo doch jeder Laie weiß:
Schlechte Bezahlung führt zu qualitativ schlechten Gutachten - und
das wiederum zu krassen Fehlentscheidungen in Strafprozess und
Strafvollzug.
Tatsächlich hat der Justizminister einen ganzen Packen voller
Probleme geerbt, denen er sich stellen muss. Ein paar Suspendierungen
und eine einzige "größere Reform" genügen nicht.
Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445
Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom
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