Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Katia Meyer-Tien zum NSU-Prozess
Geschrieben am 21-07-2014 |
Regensburg (ots) - Es war die erste Äußerung von Beate Zschäpe
nach 128 Verhandlungstagen, und so knapp sie auch war: Ihr Nicken auf
die Frage, ob das Vertrauensverhältnis zu ihren Anwälten zerrüttet
sei, verändert den NSU-Prozess nachhaltig - unabhängig davon, wie der
Vorsitzende Richter Manfred Götzl heute über Zschäpes Antrag auf
Entlassung ihrer Pflichtverteidiger entscheidet. Während
Staatsanwaltschaft, Nebenkläger und Angehörige der Opfer im Zwiespalt
zwischen Ärger über die Verzögerung und Hoffnung auf einen
Strategiewechsel der Verteidigung die weitere Entwicklung nur
abwarten können, stehen die drei Verteidiger Anja Sturm, Wolfgang
Heer und Wolfgang Stahl im Zentrum des Geschehens. Die sind
angetreten, um "einer der Übermacht des Staates ausgelieferten Person
mit rechtlichen Mitteln beizustehen", wie die Strafrechtlerin Sturm
es einmal ausdrückte. Dabei bewegen sie sich seit mehr als einem Jahr
in der Grauzone zwischen dem Nimbus, Akteure in einem der
bedeutendsten Verfahren der Nachkriegsgeschichte zu sein, und der
gesellschaftlichen Ächtung, die mit der Verteidigung einer
mutmaßlichen Rechtsterroristin einhergeht. Insbesondere Anja Sturm
bekam das zu spüren: Sie wechselte wegen "Unstimmigkeiten" nach der
Mandatsübernahme sogar Kanzlei und Wohnort. Allen drei Anwälten kann
keinerlei Nähe zur rechten Szene unterstellt werden, umso
beachtlicher war die professionelle Vertrautheit, mit der sie bisher
im Gerichtsaal im Umgang mit Beate Zschäpe erschienen. Der
Vertrauensentzug ihrer Mandantin wirkt da als schallende Ohrfeige.
Selbst wenn das Verhältnis bisher nicht belastet gewesen sein sollte:
Es ist schwer vorstellbar, dass die drei nun weitermachen wie bisher.
Richter Manfred Götzl indes hat keine andere Wahl, als Zschäpes
Unmutsbekundungen sehr ernst zu nehmen. Er hat eine Fürsorgepflicht
für die Angeklagte, es liegt an ihm, sicherzustellen, dass Beate
Zschäpe einen fairen Prozess bekommt. Schon bisher hat das
Oberlandesgericht deutlich gemacht, dass es um jeden Preis verhindern
will, dass es nach der Urteilsverkündung in dem Mammutverfahren einen
Anlass zur Revision geben könnte. Daher die Verzögerungen zu
Prozessbeginn im Streit um das Akkreditierungsverfahren, daher die
strikte Ablehnung einer Videoübertragung in einen anderen Saal. Schon
der geringste Zweifel daran, dass Zschäpe ihren Anwälten ausreichend
vertraut, könnte ein solcher Revisionsgrund sein. Aber: ein Wechsel
der Verteidiger, der sogar einen Neubeginn des Prozesses notwendig
machen könnte, wäre der Super-Gau in der bisher an Skandalen nicht
gerade armen Geschichte der Begegnung des NSU mit dem deutschen
Rechtssystem. Der erste Prozesstag nach dem Nicken ist ein Tag der
Entscheidungen. Götzl muss entscheiden, wie er den Prozess
weiterlaufen lässt. Heer, Sturm und Stahl müssen entscheiden, ob und
wie sie in Zukunft mit Beate Zschäpe weiterarbeiten. Und die
Angeklagte selbst? Möglich, dass ihre beiläufige Mitteilung an einen
Polizeibeamten in der Mittagspause die Reißleine war, an der sie zog,
weil sie glaubt, unausweichlich auf eine Verurteilung zuzusteuern.
Möglich auch, dass sie es nicht ertragen konnte, dass andere über sie
und ihr Leben sprechen, ohne dass sie etwas dazu sagen kann. Und
selbst, wenn es nur ein spontaner Versuch war, irgendwie ins
Geschehen einzugreifen: Deutlich wird, dass die Prozesstage, die
Beate Zschäpe so scheinbar eiskalt und siegesgewiss schwieg, gehen
nicht spurlos an ihr vorüber. Angesichts der ihr zur Last gelegten
Vorwürfe ist das vielleicht ein erster Erfolg des Verfahrens. Und ein
Anlass auch für Zschäpe, eine Entscheidung zu treffen.
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