Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar
Das Wehklagen der Bauern
Trugschlüsse
HUBERTUS GÄRTNER
Geschrieben am 24-07-2014 |
Bielefeld (ots) - Viele Menschen können das "ewige Wehklagen" der
Bauern über das Wetter nicht mehr hören. Sie halten es für völlig
übertrieben und glauben, die Landwirte wollten nur davon ablenken,
dass es ihnen allen in Wahrheit sehr gut gehe und sie hohe Profite
einfahren. Das sind allerdings Trugschlüsse. Sie beruhen vor allem
darauf, dass die meisten Wohlstandsbürger sich von der Landwirtschaft
entfremdet haben. Sie machen sich nicht mehr die Hände schmutzig und
wissen nicht, was auf den Feldern passiert. Auch das Wetter kann
ihnen (fast) nichts mehr anhaben. Wenn sie arbeiten, dann sitzen sie
zumeist in Büros. Und die sind in der Regel trocken. Die Landwirte
dagegen bekommen die Vorboten des Klimawandels schon jetzt hautnah zu
spüren. Wenn Starkregen oder Hagel auf ihre Felder prasselt, dann
bedeutet das für sie unmittelbare finanzielle Einbußen. Deshalb ist
es nicht verwunderlich, wenn die Bauern besonders oft zum Himmel
schauen, sensibel auf das Wetter reagieren - und sich ständig Sorgen
machen. Zweifelsohne sind einige von ihnen, aber längst nicht alle,
gut betucht. Die Energiewende hat manchen Landwirt zum Millionär
gemacht, wenn er über gute Standorte für Windkraftanlagen verfügte
oder zum Beispiel rechtzeitig in Biogas- und riesige Mastanlagen
investiert hat. Die meisten Großbetriebe, die Ackerbau und Viehzucht
industriell betreiben, nagen finanziell nicht am Hungertuch. Die
andere Seite der Medaille ist allerdings ein Strukturwandel, der sich
auch als Niedergang der traditionellen bäuerlichen Kultur beschreiben
lässt. Dieser Niedergang schreitet unaufhaltsam voran. So gab es in
NRW im Jahr 1991 noch 60.912 landwirtschaftliche Betriebe. Seither
hat sich ihre Zahl fast halbiert. Auch in Ostwestfalen-Lippe ging sie
von 14.553 auf 7.477 zurück. Gleichzeitig stieg die pro Betrieb
bewirtschaftete Fläche im Durchschnitt von 25,2 auf 42,7 Hektar. Das
bedeutet, dass Hunderte kleine Bauern und solche im Nebenerwerb jedes
Jahr aufgeben. Die allermeisten tun es notgedrungen, weil sich die
Arbeit nicht mehr lohnt und ihr Lebensnerv getroffen ist. Hinter den
Zahlen verbergen sich Schicksale. Wenn Bauern klagen, sollten wir
also genau hinhören.
Pressekontakt:
Neue Westfälische
News Desk
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