Bedrohte afghanische Mitarbeiter: ungleiche Behandlung durch Bundesregierung
Geschrieben am 15-10-2014 |
Hamburg (ots) - Die Bundesregierung behandelt afghanische
Mitarbeiter, die sich durch ihre Arbeit für Deutschland bedroht sehen
und ausreisen wollen, offenbar ungleich. Das ergaben Recherchen von
NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung. So informierte die zum
Entwicklungshilfeministerium gehörende Gesellschaft für
Internationale Zusammenarbeit (GIZ) ihre lokalen Mitarbeiter nach
Schilderungen von Ortskräften nicht aktiv und riet mehrfach von
Ausreiseanträgen ab. Von den bisher 437 Aufnahmezusagen u. a. an
Dolmetscher entfällt lediglich eine auf den Bereich des
Entwicklungshilfeministeriums.
Die Bundesregierung lehnte 60 Prozent der Ausreiseanträge
afghanischer Mitarbeiter ab, die sich vor allem durch Taliban
gefährdet sehen. Der ehemalige Wehrbeauftragte Reinhold Robbe (SPD)
bezeichnete den Umgang mit Ortskräften als "beschämend" und "unseres
Landes unwürdig". Pro Asyl kritisierte die Intransparenz des
Verfahrens und den Druck, den die GIZ auf ihre Mitarbeiter ausübe.
Die Bundesregierung erklärte, sie komme ihrer Fürsorgepflicht nach
und gewährleiste mit einem einheitlichen Kriterienkatalog die
Gleichbehandlung der afghanischen Ortskräfte.
Hochrangige deutsche GIZ-Vertreter sollen nach Schilderungen von
Teilnehmern in mehreren Sitzungen und Gesprächen ihren afghanischen
Mitarbeitern als Linie vermittelt haben, dass eine Ausreise nach
Deutschland für GIZ-Ortskräfte nicht möglich sei. Die Bundesregierung
erklärte, sie kenne solche Äußerungen nicht und hielte sie für
sachlich falsch. In der Folge melden Ortskräfte nach eigenen Angaben
konkrete Drohungen nicht, weil sie es für aussichtslos halten oder
Angst um ihren Job haben. Zudem werden die knapp 1700 afghanischen
Mitarbeiter der staatlichen Entwicklungshilfe-Organisation offenbar
nicht wie vom Entwicklungshilfeministerium behauptet über ihre
Möglichkeiten bei Drohungen informiert. Erst in den vergangenen
Wochen wurde nach Angaben der Bundesregierung die erste Ausreise
einer GIZ-Ortskraft genehmigt, acht weitere Fälle werden derzeit
geprüft. "Ich denke, hier wird ein Druck ausgeübt, sich nicht zu
melden", so der Frankfurter Anwalt und Pro-Asyl-Mitbegründer Victor
Pfaff. Man solle aber daran denken, "dass sich in Zukunft Menschen
für die GIZ oder für andere Organisationen nicht mehr zur Verfügung
stellen, wenn man ihnen in einer Gefährdungslage nicht mehr hilft."
Bei Fällen im Bereich der Bundeswehr sind Entscheidungen gegen
eine Ausreise oftmals nicht nachvollziehbar. So wurden nach
Recherchen von NDR, WDR und SZ Anträge trotz konkreter Drohungen
abgelehnt, und das, obwohl die Afghanen in Taliban-Gebieten sehr
exponiert für die Deutschen tätig waren, v. a. als Dolmetscher.
Konkrete Gründe für die Ablehnung werden meist nicht mitgeteilt, die
Entscheidungen sind rechtlich kaum anfechtbar. Der ehemalige
Wehrbeauftragte Reinhold Robbe (SPD) kritisiert die bisherige
Handhabung des Verfahrens: "Es ist beschämend, wie die Ortskräfte
behandelt werden, die im Grunde Leib und Leben eingesetzt haben,
damit deutsche Kräfte - sowohl Soldaten als auch Entwicklungshelfer -
ihre Arbeit tun können. Es ist unwürdig, nicht hinnehmbar und aus
diesem Grund bedarf es schneller Hilfe und einer anderen Regelung."
Thomas de Maizière kenne als Bundesinnenminister und früherer
Verteidigungsminister alle Details, so Robbe. Der Minister "könnte
handeln, aber er tut es nicht, und da muss man die Frage stellen,
warum nicht und kann man das so hinnehmen".
Insgesamt wurden bislang nach Angaben der Bundesregierung 1105 so
genannte Gefährdungsanzeigen afghanischer Mitarbeiter des
Verteidigungs-, Innen-, Außen- und Entwicklungshilfeministeriums
bearbeitet. Davon wurden 60 Prozent abgelehnt. Für afghanische
Ortskräfte, die sich bedroht fühlen, gilt seit einem Jahr ein
standardisiertes Verfahren aller Ministerien. Die einheitlichen
Kriterien werden Antragstellern, Anwälten und der Öffentlichkeit
jedoch nicht offengelegt und sind als Verschlussache eingestuft. Dazu
Pro-Asyl-Mitbegründer Victor Pfaff: "Solange die Kriterien und die
Arbeitsweise nicht auf den Tisch kommen, bleibt ein Misstrauen in das
Verfahren, in Verbindung damit, dass wir eben Ablehnungen bekommen,
die wir nicht nachvollziehen können."
Am Donnerstag, 16. Oktober, berichtet das ARD-Magazin "Panorama"
um 21.45 im Ersten über das Thema und schildert Einzelfälle.
Pressekontakt:
Norddeutscher Rundfunk
NDR Presse und Info
Iris Bents
Mail: i.bents@ndr.de
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