Neue Westfälische (Bielefeld): Wirtschaft im Alltag
Gefühlssache
stefan schelp
Geschrieben am 26-12-2014 |
Bielefeld (ots) - Wirtschaft? Das sind doch nur nackte, kalte
Zahlen. Umsatzsteigerung. Gewinneinbruch. Abgeschmolzene Dividende.
Vergrößerte Eigenkapitalquote. Wirtschaft ist nun mal nichts, was den
Menschen nahegeht. Falsch. Denn Wirtschaft war im vergangenen Jahr
vor allem eines: Emotion. Hand aufs Herz - wer hätte nicht die Luft
angehalten angesichts des Urteils gegen Thomas Middelhoff, den
Ex-Bertelsmannboss, Ex-Karstadtchef, Ex-Investmentbanker und
Neuhäftling? Niemand hatte doch wirklich damit gerechnet, dass der
Manager direkt aus dem Gericht ins Gefängnis gehen müsste. Und dies
seitdem nicht wieder verlassen hat. Ein ums andere Mal ist seine
Haftbeschwerde abgelehnt worden. Zuletzt, weil sich ein chinesisches
Visum in seinem Reisepass fand. Middelhoffs Kollegen aus der
deutschen Managementelite werden sich nicht lange mit dem
Mitleidsgefühl für den gestürzten Helden aufgehalten haben. Angst und
Schrecken haben sich stattdessen ihren Weg zu den Großen der
Wirtschaft gebahnt. Die Erkenntnis, dass die überbordende Nutzung von
Jets und das Abrechnen von Festschriften auch zivilrechtlich geklärt
werden können, hat, so ist zu hören, vielerorts für Unruhe gesorgt.
Möglicherweise sogar für ein Umdenken. Das wäre dann ausbaufähig -
auch wenn es für Middelhoff ein schwacher Trost in seiner Einzelzelle
ist. Emotion pur sind natürlich auch die Familienfehden der Oetkers
und der Tönnies'. Wobei die Oetkers sich immerhin noch mit einem
Schiedsgericht begnügen, um die Streitereien um Strategie und
Machtfolge auszutragen. Onkel und Neffe Tönnies sind dagegen gleich
vor den "richtigen" Kadi gezogen. "Grober Undank" ist das Stichwort.
Ein juristischer Terminus mit emotionalem Tiefgang. Oetker oder
Tönnies - in beiden Fällen geht es um Macht, aber auch um gekränkten
Stolz, um Eifersucht. Große Gefühle. Und um deren Folgen. Im Fall
Tönnies stehen interessierte Beobachter längst bereit, um hinter
einem zerschlagenen Konzern "herzuputzen", sollte der durch eine
gegenseitige Blockade der streitenden Verwandten handlungsunfähig
werden. Und bei Oetker ist die Fusion der Oetker-Reederei Hamburg Süd
mit Hapag-Lloyd gescheitert. Der Zusammenschluss hätte die
vereinigten Reeder an die Weltspitze geschwemmt. Eine komfortable
Situation, um den Stürmen im Geschäft auf den Weltmeeren zu trotzen.
Ersatzkooperationen mussten her. Soll doch niemand behaupten,
Entschlüsse der großen Entscheider der Wirtschaft basierten einzig
und allein auf Zahlen. Middelhoff, Tönnies, Oetker - das ist doch
eine ganz andere Welt, sagen Sie? Für Sie spielen Emotionen in ganz
anderen Situationen eine Rolle? Zum Beispiel an der Zapfsäule. Manch
einer, der in den vergangenen Jahren Tränen der Wut hatte, wenn er
Sprit in den Autotank laufen ließ, verdrückt sich jetzt eine
Freudenträne, weil die Euroanzeige an der Zapfsäule nicht mehr so
viel schneller läuft als die Literanzeige für den Superkraftstoff.
Glücksgefühle tanken - auch das ist Wirtschaft. Hoffen wir also in
vielfacher Hinsicht auf ein glückliches neues Jahr.
Pressekontakt:
Neue Westfälische
News Desk
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