Neue Westfälische (Bielefeld): Griechenland
Schulmeister Schäuble
johann vollmer
Geschrieben am 13-03-2015 |
Bielefeld (ots) - Im Struwwelpeter - diesem als Kinderbuch
getarnten Werkzeug der schwarzen Pädagogik - schildert der Psychiater
Heinrich Hoffmann im Jahr 1845 eindrücklich, was mit aufsässigen
Kindern passiert. Sie verhungern (Suppenkasper), enden verstümmelt
(Daumenlutscher Konrad, böser Friedrich) oder verbrennen gleich ganz
bis auf die Schuhe (Pauline). Mindestens aber werden sie getadelt
(Zappelphilipp), verspottet (Hanns Guck-in-die-Luft) oder öffentlich
gedemütigt (die schwarzen Buben). Mehr als hundert Jahre hat diese
Erziehung mit einer Mischung aus Härte, Gefühlskälte und
Trostverweigerung das menschliche Miteinander geprägt. Und es ist
kein Zufall, dass sich der gesellschaftliche Wandel in den 70er
Jahren nicht nur in der modernen Pädagogik ausdrückte, sondern die
Liberalisierung auch alle anderen Bereiche des Lebens bis hinein in
die Politik erfasste. Die Entspannungspolitik unter Willy Brandt war
gleichermaßen Vorbild und Resultat einer neuen Dialogfähigkeit. Sie
war die Grundlage dafür, dass knapp 20 Jahre später das Undenkbare,
der gewaltfreie Fall der Mauer, Wirklichkeit wurde.
Entspannungspolitik bedeutete dabei vor allem auch eine Entspannung
der politischen Sprache - die verbale Abrüstung nationaler
Borniertheit und klischeehaften Machotums. Pauschalurteile über die
Russen, die Polen, die Franzosen, die Deutschen werden zwar nie ihre
alteingesessenen Plätze an den Stammtischen der Republik verlassen.
Sie sind aber spätestens seit 1990, verbunden mit dem europäischen
Einigungsprozess, nicht mehr Gegenstand der politischen Kultur. So
dachte man zumindest. Doch in der Eurokrise erleben wir gegenwärtig
eine beunruhigende Rückkehr nationaler, moralischer Überheblichkeit.
Die Wiedergeburt der Bild-Zeitung zum Hetzblatt im eigenen Stil der
späten 60er Jahre ist nur ein Beleg dafür. Das Blatt bedient in der
Eurokrise nicht den Pöbel, sondern erschafft ihn erst. "Keine
weiteren Milliarden für die gierigen Griechen" titelte die Bild
zuletzt. Die Frankfurter Allgemeine ist nicht besser. Sie spricht von
der "ideologiedurchtränkten Unfähigkeit" der Regierung Tsipras, die
vom Geist des "politischen Ganoventums beseelt" sei. Bliebe diese
kleingeistig-moralische Wende auf die Bild und FAZ beschränkt, wäre
es verschmerzbar. Doch es scheint, dass abermals
gesamtgesellschaftlich der Schulmeisterton die Musik macht. Auch das
politische Geschäft erliegt den eigentlich überholten Mitteln der
schwarzen Pädagogik. Es wird gedroht, geknebelt, sanktioniert. Es
wird erzieherisch zurechtgewiesen, erniedrigt, gedemütigt. Aus seiner
schwarzen Null im Haushalt zieht Finanzminister Wolfgang Schäuble
trotz eines deutschen Rekordschuldenbergs offensichtlich die
Gewissheit, dass nur am deutschen Finanzwesen die Welt genesen kann.
Er soll in diesen Tagen seinen griechischen Amtskollegen Yanis
Varoufakis und dessen Kommunikationsverhalten als "dümmlich naiv"
abgetan haben. Man hört schon die Bild: Da sollen sich die
Pleite-Griechen mal nicht so haben. Doch, sollen sie! Sie haben das
Recht, inzwischen jedes Wort auf die Goldwaage zu legen. Wer die
gewählte Regierung eines anderen Landes wie ein naseweises Kind
abkanzelt, braucht sich nicht zu wundern, dass er Trotz erntet. Die
schwarze Pädagogik wirkt nicht. Das Ergebnis ist für die EU
verheerend. Island hat nun von sich aus abgelehnt, Mitglied zu werden
- zu unattraktiv. Die EU, die einmal ein Generationentraum war,
zerbröselt in den Händen ihrer Zuchtmeister.
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