Mittelbayerische Zeitung: Olympische Nabelschau / Der Sport droht sich im Rennen um Spiele in Deutschland abermals selbst ein Bein zu stellen. Leitartikel von Heinz Gläser
Geschrieben am 16-03-2015 |
Regensburg (ots) - Natürlich Berlin! An Berlin würde kein Weg
vorbeiführen. Der faszinierenden Idee eines völkerverbindenden
Spektakels in einer gerade eben wiedervereinigten Metropole würde
sich niemand entziehen können. Dachte der deutsche Sport. Eine
stümperhaft vorbereitete, von Chaos geprägte und von Skandalen
überschattete Bewerbungskampagne später waren alle Beteiligten
schlauer. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) erteilte 1993
dem Zählkandidaten Berlin eine rüde Abfuhr und kürte Sydney, wo die
Millenniums-Sommerspiele 2000 zum rauschenden Sportfest der
Superlative wurden. Ähnlich selbstgefällig schickte man Leipzig ins
Rennen um Olympia 2012, eine weltweit belächelte Bewerbung, die das
IOC bereits in der Vorauswahl kassierte. Ja, es ist ein Kreuz mit den
fünf Ringen. Die Botschaft war in beiden Fällen unmissverständlich.
Deutschland ist nicht der Nabel der Sportwelt, auch wenn es sich
bisweilen so geriert und oberlehrerhaft auftritt. Kürzlich fällte das
Landgericht München ein Urteil zur Rechtmäßigkeit von
Athletenvereinbarungen. "Schockwellen" werde dieses auslösen, hieß
es. Mit Verlaub: Es ist äußerst fraglich, ob diese Wellen jenseits
des Bodensees noch wahrnehmbar waren. Nun also ein neuer Anlauf.
2024, spätestens 2028 will der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB)
als Dachverband Sommerspiele in Deutschland sehen. Genauer in
Hamburg, wie er am Montag verkündete. Den Ausschlag für diese
Entscheidung gab die trübe Aussicht, an der riesigen Front der
"NOlympier" in der renitenten Hauptstadt zu scheitern. In der
Hansestadt ist die Zustimmungsrate zwar auch nicht berauschend, aber
wenigstens nicht unterirdisch. Der DOSB pokert erneut hoch. Denn bei
Lichte besehen hat er nur einen Trumpf in der Hand. Das Ass heißt
Thomas Bach. Dass seit eineinhalb Jahren erstmals ein Deutscher an
der Spitze des IOC thront, ist die eigentliche Triebfeder hinter
dieser Bewerbung. Die Herren der Ringe würden ihrem Chef Olympische
Spiele als Krönung seiner Laufbahn nicht versagen, so das Kalkül. Das
kann, muss allerdings nicht so sein. Thomas Bach ist auch ein Meister
des Taktierens, erst diese Gabe hat ihn in diese Position befördert.
Im vergangenen Mai hat das IOC die TV-Rechte in den USA von 2021 bis
2032 für die Rekordsumme von 7,65 Milliarden Dollar an den Sender NBC
verkauft. Der ohnehin attraktive Kandidat Boston darf also hoffen,
dass sich die notorisch geschäftstüchtigen Olympier für solche
Gefälligkeiten revanchieren. Damit nicht genug, stellt sich der
deutsche Sport erneut selbst ein Bein. Dass 2024 hierzulande die
Fußball-Europameisterschaften über die Bühne gehen werden, bezweifelt
ernsthaft niemand mehr. Der DFB hat dies geschickt und ohne Rücksicht
auf (olympische) Verluste eingefädelt. Die Frage drängt sich geradezu
auf: Binnen weniger Wochen zwei sportliche Großereignisse in einem
Land, geht das? Und selbst wenn, ist es sinnvoll? Vorbei, vertan!
Olympische Winterspiele in München 2022 wären die logische Wahl
gewesen, mit einem schlüssigen, auf Nachhaltigkeit ausgerichteten
Konzept, mit größtenteils vorhandenen Wettkampfstätten, mit der
sportlichen Tradition und dem Charme des prosperierenden
Voralpenlandes. Die Spiele wären der bayerischen Landeshauptstadt
angesichts der verbliebenen Konkurrenz durch Peking und das
kasachische Almaty wohl in den Schoß gefallen. Die Kampagne Münchens
scheiterte am Unwillen der Bevölkerung, die dem IOC Korruption,
Rücksichtslosigkeit, Gigantismus und Willfährigkeit im Umgang mit
Diktaturen unterstellt. Nur mal so ein Gedanke: Würde der noch weit
übler beleumundete Fußball-Weltverband Fifa den Deutschen die Chance
auf ein zweites WM-Sommermärchen offerieren, sie würden es mit
Kusshand nehmen.
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