Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Christine Straßer zur Germanwings-Katastrophe
Geschrieben am 26-03-2015 |
Regensburg (ots) - Das Rätselraten um die Ursache für den Absturz
der Germanwings-Maschine hat ein Ende. Doch mit so einer Antwort hat
niemand gerechnet: Die Ermittler gehen nach der Auswertung der
Stimmaufzeichnungen davon aus, dass der Copilot das Flugzeug
absichtlich abstürzen ließ. Der menschliche Verstand wehrt sich
dagegen, sich so ein Szenario auszumalen. Denn eigentlich ist es das
unvorstellbarste Szenario überhaupt. Nach der schrecklichen Nachricht
über den Absturz und den Tod von 150 Menschen am Dienstag bewirkt
dieses Ermittlungsergebnis daher einen zweiten Schock. Die
schreckliche Erkenntnis: Es war kein technischer Defekt. Es war kein
Pilotenfehler. Es war allen aktuellen Erkenntnissen zufolge auch kein
Terroranschlag. Ohne erkennbares Motiv hat der Copilot die
Germanwings-Maschine offenkundig vorsätzlich gegen einen Berg
gelenkt. Dem französischen Staatsanwalt Brice Robin ist anzumerken,
wie fassungslos er über das ist, was er verkünden muss. Er ringt um
Worte, eigentlich gibt es keine. Insofern will Robin nicht von Suizid
sprechen. Zu gewaltig ist das Geschehene. Lufthansa-Chef Carsten
Spohr sagt, dass er sich so eine Tragödie auch in seinen "schlimmsten
Alpträumen" nicht hätte vorstellen können. Eine Folge dieser
Katastrophe wird sein, dass der Unsicherheitsfaktor Mensch unter die
Lupe genommen wird. Es wird darüber diskutiert werden, ob künftig
immer zwei Personen im Cockpit sein müssen. Beispielsweise in den USA
ist das schon jetzt so. Dort sehen die Regularien vor, dass ein
Flugbegleiter ins Cockpit geht, wenn der Pilot oder der Copilot es
verlassen müssen. So soll vermieden werden, dass eine Person allein
im Cockpit ist und dort bewusst - oder unbewusst, etwa wegen eines
medizinischen Notfalls - das Flugzeug in Gefahr bringt. Die quälende
Frage bleibt allerdings die nach dem Motiv. Um diese Frage zu
beantworten, wird das Leben des jungen Copiloten durchleuchtet. So
verständlich der Wunsch nach einer Erklärung für den Absturz ist, so
sehr sollte man sich andererseits eingestehen, dass es wahrscheinlich
nie eine Antwort auf diese Frage geben wird. Zumindest keine
befriedigende. Keine, die Trost spendet. Was wirklich im Kopf des
Copiloten vorging, werden wir nicht mehr erfahren. Zurückhaltung wäre
angebracht. Allein schon, weil Spekulationen über die Gründe des
Copiloten nicht das sind, was den Hinterbliebenen der Opfer Halt
gibt. Jeder, der bereits einmal einen nahen Angehörigen bei einem
Unfall verloren hat, weiß das. Die Welt steht dann plötzlich still.
Es ist ein Gefühl, eingeschlossen zu sein in der eigenen Trauer. In
so einer Situation hilft es, Menschen um sich zu haben, die einfach
da sind, die zuhören, ohne große Worte - auch und erst recht, wenn
die öffentlichen Beileidsbekundungen und die Beerdigungen längst
vorbei sind. Aufgeregtes Geplapper, ungesicherte Informationen helfen
indes nicht weiter. Davon abgesehen: Auch die Angehörigen des
Copiloten sind sicher vom Schock wie gelähmt. Dass uns der Absturz
von Flug 4U9525 so umtreibt, liegt neben dem Mitgefühl mit den
Familien der Toten auch daran, dass er den Glauben an Sicherheit ins
Wanken bringt. In kaum einem anderen Lebensbereich werden so viele
Sicherheitsvorkehrungen getroffen wie in der Luftfahrtbranche. Der
Vertrauensvorschuss in diesem Bereich ist folglich groß. Am Ende
dieser Kette steht der Pilot. Er verkörpert Vertrauen, in seine Hände
legen wir unser Leben. Doch nun ist offenkundig ausgerechnet der
Copilot der Täter. Kann man sich davor schützen? Wohl niemals völlig.
Denn wir können nicht bis in den letzten Winkel in einen Menschen
hineinschauen.
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Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
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Pressekontakt:
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