Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zu Jemen/USA: Gefährliches Puzzle von Thomas Spang
Geschrieben am 29-03-2015 |
Regensburg (ots) - Ein hoher Pentagon-Mitarbeiter brachte die
Situation im Nahen und Mittleren Osten kürzlich treffend auf den
Punkt, als er sie mit dem Vorabend des Ersten Weltkriegs in Europa
verglich. Die offene Frage sei nur, welches "Attentat auf einen
Erzherzog" diesmal die große Konfrontation auslöse. Immer mehr
spricht dafür, dass der von schiitischen Huthi-Rebellen in die Flucht
geschlagene Präsident des Jemen Abdrabbuh Mansour Hadi diese Rolle
übernimmt. Für die sunnitische Hegemonialmacht Saudi-Arabien
jedenfalls liefert Hadis Sturz einen willkommenen Vorwand, die
Muskeln spielen zu lassen. Riad bläst zum "Sturm der
Entschlossenheit" gegen die vom Erzfeind Iran unterstützten Huthis
und mobilisiert dafür eine arabische Koalitionsstreitmacht, die schon
bald im Jemen mit Bodentruppen einmarschieren könnte. Dass die
saudische Propaganda-Maschine ausgerechnet jetzt auf Hochtouren
läuft, ist kein Zufall. Bieten sich die Huthis doch als idealer Hebel
an, einen Atomkompromiss der P5+1 mit dem Iran in sprichwörtlich
letzter Minute zum Entgleisen zu bringen. Dieses Ziel teilen die
wahhabitischen Fundamentalisten in Riad mit dem rechten
Likud-Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu, der das Regime in
Teheran als Bedrohung der Sicherheit Israels sieht. Die
israelisch-saudische Allianz zielt darauf ab, US-Präsident Barack
Obama politisch so weit in die Ecke zu treiben, dass er die
Annäherung an den Iran aufgibt. Niemand erfährt das unmittelbar so
sehr wie US-Außenminister John Kerry, der in der Schweizer
Konferenzstadt Lausanne einen diplomatischen Eiertanz aufführen muss.
Während er versucht mit seinem iranischen Kollegen Javad Zarif die
letzten Hindernisse eines Nuklear-Deals vor Ablauf der Frist am
Dienstag aus der Welt zu schaffen, versichert er den Saudis in einer
Telefonkonferenz Rückendeckung der USA im Kampf gegen die Huthis. Das
strategisch überragende Ziel der Amerikaner bleibt, dem Iran auf
diplomatischem Weg den Bau einer Atombombe zu verweigern. Dass
ausgerechnet dieses Bemühen den Kontext einer Großkonfrontation
zwischen Arabern und Persern, Schiiten und Sunniten liefern könnte,
gehört zur Tragik einer Region, die politisch, ethnisch und religiös
so viele offene Rechnungen hat. Experten wie Richard Haas halten
einen 30-jährigen Dauerkonflikt für möglich. Realpolitiker wie er
haben längst begriffen, dass in diesem Teil der Welt der Feind des
Feindes nicht automatisch ein Freund der USA sein muss. Das gilt für
die Saudis, die den Islamischen Staat ideologisch und monetär
gepäppelt haben, aber auch für den Iran, der im Jemen Milizen
unterstützt, die den US-Drohnenkrieg gegen die brandgefährliche
"Al-Kaida der arabischen Halbinsel" gestoppt haben. Der Vorwurf an
Präsident Obama, kein Rezept zu haben, den Nahen und Mittleren Osten
zu befrieden, unterstellt, es gäbe eines. Dabei ist die Idee einer
"Pax Americana" spätestens seit der US-Invasion des Irak gründlich
diskreditiert. Warum sollte den USA heute in einer ganzen Region
glücken, was sie in zehn Jahren Besatzung mit 100 000 Soldaten und
fast zwei Billionen Dollar an Kosten im Irak nicht vermochten? Der
Arabische Frühling brachte ein paar mutige Intellektuelle auf die
Straße, aber ließ auch die IS-Extremisten aus den Löchern kommen.
Alte Despoten gingen, um neuen Platz zu machen. Es blieben die
inneren Konflikte, die sich von außen bestenfalls moderieren, aber
kaum lösen lassen. Hinter der Vorhaltung, Präsident Obama fehle eine
Blaupause zur Lösung des Nah-, Mittelost-Puzzles steckt Wunschdenken.
Die Realität ist leider komplexer und legt die Vermutung nahe, dass
Pragmatismus den eigenen Sicherheitsinteressen in diesem Teil der
Welt am allermeisten dient.
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Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
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