Öffentliche Großprojekte: Frühe Planungsfehler setzen oft unaufhaltsame Kostenspirale in Gang
Geschrieben am 19-05-2015 |
Berlin (ots) - Wenn die Kosten bei öffentlichen Großprojekten aus
dem Ruder laufen, so wurden entscheidende Fehler oft bereits in der
Vorplanungsphase und bei der Projekt-Governance gemacht. Das zeigen
Fallstudien zum Berliner Flughafen BER (125 Prozent
Kostenüberschreitung) und zur Elbphilharmonie (146 Prozent). Deren
Autor Prof. Dr. Jobst Fiedler erklärt: "In beiden Fällen hätte ein
Großteil der Kostenüberschreitungen nicht mehr verhindert werden
können, nachdem die Projektorganisation falsch aufgesetzt und
Verträge auf unzureichender Planungsbasis geschlossen waren." Die
Fallanalysen sind Bestandteil der Studie "Großprojekte in Deutschland
- zwischen Ambition und Realität" unter der Leitung von Prof. Dr.
Genia Kostka, Hertie School of Governance. Kostkas Fazit: "Durch
Großprojekte mit explodierenden Kosten droht die Politik an
Glaubwürdigkeit zu verlieren. Unsere Forschungen zeigen, dass man
wirksam gegensteuern kann."
BER: Muster-Negativbeispiel
Die BER-Fallstudie analysiert zehn aufeinander aufbauende Fehler:
Mit der Flughafengesellschaft Berlin-Brandenburg (FBB) wurde eine
nicht ausreichend kompetente Einrichtung mit dem Projekt betraut, der
ein Aufsichtsrat ohne das notwendige Fachwissen zur Seite gestellt
wurde. Kein unabhängiges, externes Controlling wurde installiert, das
Fehlentscheidungen hätte anzeigen können. Der Verzicht auf einen
Generalunternehmer verlagerte das finanzielle Risiko zu 100 Prozent
auf den Steuerzahler. Die Aufteilung in viele kleine Gewerke führte
zu einem exorbitanten Steuerungsaufwand, der wiederum von Anfang an
gleichzeitiges Planen und Bauen erforderlich machte.
Die Vielzahl von Planänderungen, die Koordinierungsprobleme,
insbesondere bei der Brandschutzanlage, der unzureichende
Informationsfluss und das "Chaosmanagement" rund um den geplatzten
Eröffnungstermin im Juni 2012 sind Folgen der verfehlten
Governance-Entscheidungen weit vor dem ersten Spatenstich. Sie
führten zu einer Kostensteigerung von 2,5 Mrd. Euro auf bislang 5,4
Mrd. Euro und zu einer Zeitüberschreitung von 200 Prozent (7,5 statt
2,5 Jahre). "Aus einer Governance-Perspektive ist der BER ein
Muster-Negativbeispiel. Während bei anderen Projekten oft deren
Neuartigkeit zu höheren Kosten führt, etwa durch die Anwendung wenig
erprobter Technologien, ist der BER - von der Brandschutzanlage
abgesehen - ein Standard-Großprojekt. Mit externem Sachverstand und
einer zeitlich und finanziell ausreichend bemessenen Planungsphase
hätten sämtliche Fehler vermieden werden können", so Fiedlers Fazit.
Elbphilharmonie: Selbstüberschätzung der Verantwortlichen
Die Hamburger Elbphilharmonie - mit Kosten von 865 Mio. Euro statt
der geplanten 352 Mio. Euro und einer Zeitüberschreitung von sieben
Jahren (200 Prozent) bei einer geplanten Fertigstellung 2017 - weist
einen teilweise vergleichbaren Fehlermix auf: Eine untaugliche
Projektorganisation mit zu wenig Fachwissen, zu hoher politischer
Einflussnahme und einem verfrühten Vertragsabschluss, was ebenfalls
gleichzeitiges Planen und Bauen nach sich zog.
Ein unabhängiges Controlling fehlte auch hier. Das finanzielle
Risiko übernahm die öffentliche Hand in unnötigem Ausmaß. "Die
Elbphilharmonie ist kein Standard-Projekt, sondern zählt durch die
aufwändige Architektur zu den generell risikoreicheren sogenannten
Signature-Projekten. Planung und Organisation wurden diesem Anspruch
aber in keiner Weise gerecht. Die Fehlerspirale wurde in erster Linie
durch Selbstüberschätzung der Verantwortlichen und entsprechend
überambitionierte Zielvorstellungen in Gang gesetzt", urteilen die
Autoren der Fallstudie Jobst Fiedler und Sascha Schuster.
IKT-Projekte werden oft teurer
Verglichen mit den Ergebnissen der Gesamtstudie, die 170
Großprojekte erfasst, sind die Kostenüberschreitungen in beiden
Fällen weit überdurchschnittlich. Zum Vergleich: Verkehrsprojekte
werden im Schnitt 33 Prozent teurer und öffentliche Gebäude 44
Prozent. In diesen Sektoren gibt es allerdings auch eine Reihe von
Projekten, die im Plan bleiben oder den geplanten Kostenansatz sogar
unterschreiten. Auf der Liste der "sparsamsten Top 10" finden sich
ausschließlich Verkehrs- und Gebäude-Projekte. Am anderen Ende der
Skala fanden Genia Kostka und ihr Team teilweise
Kostenüberschreitungen um das Fünf- oder sogar Elffache, insbesondere
im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT):
Vier unter den zehn Projekten mit der prozentual höchsten
Kostenentwicklung sind diesem Bereich zuzuordnen. Kostka: "Unser
Befund, dass IKT-Projekte häufiger um ein Vielfaches teurer werden
als geplant, deckt sich mit internationalen Studienergebnissen. Um
die Ursachen genau zu analysieren, bedürfte es weiterer Forschungen."
Empfehlungen
Um die Probleme in den Griff zu bekommen, empfehlen die Forscher
vier Schritte: Erstens eine ausreichende Einbeziehung in die
Aufsichts- und Steuerungsgremien von Personen mit Kompetenz in der
Privatwirtschaft und im Bau. Zweitens müssten öffentliche Bauherren
Projektpartner mit hoher Expertise in die Projektorganisation
einbeziehen, um gegenüber privaten Baufirmen auf Augenhöhe agieren zu
können. Drittens die Verbesserung des Risikomanagements durch die
Einbeziehung privaten Kapitals, entweder durch finanzielle
Mitbeteiligung an einer Realisierungsgesellschaft oder durch
Beauftragung eines Generalunternehmers. Schließlich muss in jedem
Fall eine ausreichende Planungstiefe vor der Auftragsvergabe erreicht
sein, da Planänderungen regelmäßig hohe Kosten nach sich ziehen.
Darüber hinaus machen Genia Kostka und ihr Team Vorschläge, wie
die Transparenz über Baurealisierung und Kosten verbessert werden
kann. So empfehlen sie den Aufbau einer öffentlich zugänglichen
Datenbank, in der große Infrastrukturprojekte systematisch erfasst
und ausgewertet werden nach dem Vorbild der britischen Major Project
Authority. Außerdem sollte in der öffentlichen Planung eine
Referenzklassenprognose eingesetzt werden. Die sich daraus ergebenden
sektorspezifischen Referenzklassen kalkulieren für Projekte
einen"Risiko-Aufschlag" für potentielle Kostensteigerungen.
Weitere Informationen
Für die Studie "Großprojekte in Deutschland - zwischen Ambition
und Realität" unter der Leitung von Genia Kostka, Professorin für
Governance von Energie und Infrastruktur, wurden 170 in Deutschland
seit 1960 realisierte Großprojekte erfasst und analysiert, darunter
119 abgeschlossene und 51 noch laufende Projekte. In den Bereichen
öffentliche Gebäude, Verkehr, Energie, Rüstung sowie Informations-
und Kommunikationstechnologie untersucht die Studie erstmals
systematisch geplante und tatsächliche Kosten. Drei detaillierte
Fallstudien zum Berliner Großflughafen BER, zur Elbphilharmonie sowie
zu Offshore-Windparks ergänzen die Untersuchung.
Die Studie wurde mit Unterstützung der Karl Schlecht Stiftung
realisiert.
Unter www.hertie-school.org/infrastructure finden Sie sowohl kurze
Ergebniszusammenfassungen als auch ausführliche Darstellungen der
übergreifenden Studie und der Fallanalysen. Eine wissenschaftliche
Buchpublikation befindet sich in Vorbereitung.
Die Hertie School of Governance ist eine staatlich anerkannte,
private Hochschule mit Sitz in Berlin. Ihr Ziel ist es, herausragend
qualifizierte junge Menschen auf Führungsaufgaben im öffentlichen
Bereich, in der Privatwirtschaft und der Zivilgesellschaft
vorzubereiten. Mit interdisziplinärer Forschung will die Hertie
School zudem die Diskussion über moderne Staatlichkeit voranbringen
und den Austausch zwischen den Sektoren anregen. Die Hochschule wurde
Ende 2003 von der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung gegründet und wird
seither maßgeblich von ihr getragen.
Pressekontakt:
Regine Kreitz, Head of Communications, Tel.: 030 / 259 219 113,
Fax: 030 / 259 219 444, E-Mail: pressoffice(at)hertie-school.org,
Friedrichstraße 180, 10117 Berlin.
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