Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Reinhard Zweigler zur Cyber-Attacke auf den Bundestag
Geschrieben am 11-06-2015 |
Regensburg (ots) - Waren es Hacker im Auftrag des Kremlchefs
Putin, die eine offenbar hochprofessionelle Cyber-Attacke gegen den
Bundestag fuhren? Möglich. Oder chinesische Internetfreaks? Nicht
auszuschließen. Oder gekaufte Internetexperten in Diensten des
islamistischen Islamischen Staates? Oder einfach nur clevere
IT-Spezialisten aus westlichen Staaten, aus Deutschland gar? Selbst
das scheint denkbar. Beim jetzigen Angriff auf das
Kommunikationssystem des Bundestages kann niemand mit Sicherheit die
Urheber benennen. Vielleicht gelingt das nie. Flotte Spekulationen
und Schuldzuweisungen bringen jedenfalls nichts. Die Cyber-Attacke
auf den Bundestag zeigt allerdings, dass Datensicherheit in
Deutschland zwar viel beschworen, aber kaum wirklich realisiert wird.
Wenn selbst die nach bisheriger Auffassung nicht gerade löchrigen
Sicherungssysteme der Parlaments-Kommunikation überlistet werden
können, dann ist das ein sehr ernster Hinweis darauf, dass wir das
Datenproblem der digitalen Ära insgesamt unterschätzt haben. Nicht
nur der verwundbare Bundestag - auch Unternehmen, Verwaltungen,
Bürgerinnen und Bürger müssen wesentlich mehr tun, damit unsere Daten
auch unser bleiben. Ob der Bundestag sich in nächster Zeit neue
Computer und Software zulegen muss - wofür einiges spricht - oder ob
das bestehende System ertüchtigt und angriffsresistenter gemacht
werden kann, ist dabei gar nicht so entscheidend. Vielleicht muss man
beides tun. Wichtig ist, dass gewählte Volksvertreter sicher
kommunizieren können. Das heißt, ohne Furcht oder auch nur das
mulmige Gefühl, abgehört und ausspioniert zu werden. Das betrifft die
interne Kommunikation ebenso wie die Kontakte zu Bürgern, die
ebenfalls über dieses System ablaufen, dass sich nun als überaus
angreifbar zu erweisen scheint. Wie groß die Datenabflüsse waren oder
sind, weiß ebenfalls niemand. Doch wer glaubt, nun würden die
Abgeordneten über alle Fraktionsgrenzen hinweg zusammen stehen und
die Sicherheitsexperten ran lassen, der irrt. Das Misstrauen wuchert.
Parlamentspräsident Norbert Lammert musste gestern nach einer langen
Sitzung des Ältestenrates versichern, dass die herbei gerufenen
Spezialisten des Bundesamtes für Verfassungsschutz nicht innerhalb
des IT-Systems des Bundestages, also von Abgeordnetenbüros,
Fraktionen und Verwaltung, tätig sein werden. Seltsam, dieses
Misstrauen gegen den Verfassungsschutz. Auch wenn der sich zuletzt
nicht gerade mit Ruhm bekleckert hat. Zumindest ist die jetzige
Attacke mit ausgeklügelten Trojanern gegen den Bundestag kein
Ruhmesblatt für das vor vier Jahren gegründete Cyber-Abwehrzentrum,
dass genau gegen solche Angriffe wappnen sollte. In dieser
Einrichtung arbeiten viele Bundesbehörden zusammen. Die Frage ist
nur: wie? Zielorientiert, effektiv und immer auf dem neuesten Stand
der IT oder in engen Behördengrenzen? Dabei wird oft vergessen: Das,
was jetzt dem Parlament widerfährt, erleben Firmen und Privatleute
täglich. Hacker dringen in Firmennetze ein, beschaffen sich sensible
Dateien und stiften damit Unheil an. Konkurrenten, und zwar nicht nur
ausländische, spähen Entwicklungen von Unternehmen aus, die sie dann
selber gewinnbringend auf den Markt werfen. Dem Datenklau im Internet
fallen Bankkunden ebenso zum Opfer wie unbedachte Nutzer von sozialen
Netzwerken. Etwas mehr Sorgsamkeit und Bewusstheit über den Wert der
eigenen Daten wäre bereits ein eigener Betrag zu mehr
Datensicherheit. Freilich gilt in unserer eng vernetzten Welt auch,
dass vollkommene Datensicherheit eine Illusion ist.
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