Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Reinhard Zweigler zum Stromtrassen-Kompromiss
Geschrieben am 02-07-2015 |
Regensburg (ots) - Offenbar hat Sigmar Gabriel die
Beharrungskräfte einer breiten Phalanx aus Kohle- und
Energiekonzernen, aus Gewerkschaften und Länderregierungen, viele
davon unter SPD-Führung, unterschätzt. Jetzt wurde beim
Energie-Koalitionsgipfel die Idee Gabriels, alte Kohlemeiler mit
einer Klimaabgabe zu belasten und damit zur Abschaltung zu drängen,
endgültig beerdigt. Die Zukunft der deutschen Energieversorgung wird
- auch - kohlrabenschwarz sein. Die einheimische Braunkohle bleibt
eine feste Größe. Und Hightech-Gaskraftwerke werden mit dafür sorgen,
dass nach dem endgültigen Abschalten der Atommeiler nicht die Lichter
ausgehen. Die Koalition einigte sich damit auf eine weitreichende
Fortsetzung der Energiereform, die zuletzt immer wieder ein großer
Streitfall war. Dabei haben die drei Parteichefs von CDU, CSU und SPD
nicht nur eine sichere, sondern zugleich auch die teuerste Variante
gewählt. Der Ausbau von erneuerbaren Energien, etwa der Photovoltaik,
von Biogenergie sowie der Windkraft an Land und auf See, wurde
dagegen zuletzt abgebremst. Zurück in die Zukunft also. Doch so hat
das die schwarz-rote Koalition entschieden - und damit eine lange
Hängepartei zu Gunsten der fossilen Energiequellen Kohle und Gas
beendet. Kein Wunder, dass nach der nächtlichen Einigung die Kurse
der großen Energieriesen in die Höhe schossen. Die Stromkunden werden
für das Bereithalten von alten Kraftwerken für den Notfall allerdings
zur Kasse gebeten. Und Energiewende-Minister Sigmar Gabriel blieb am
Ende nichts anderes übrig, als seine politische Niederlage mit großen
Worten - "ein großes Kind der großen Koalition" - zu kaschieren. In
der Runde im Kanzleramt ging es nicht nur um Stromtrassen, um Kohle,
Gas und Atommüll, sondern auch um Macht. Seehofer hatte relativ
clever den Streit um die Trassen vom Zaun gebrochen. Zwei minus X
müsse es sein. Der Rest der Republik empörte sich über den Blockierer
aus Bayern. Unter dem Strich jedoch zeigt sich, dass der CSU-Chef mit
kluger Sturheit mehr erreicht hat, als er mit purer Vertragstreue
hätte erzielen können. Dass Seehofer vor zwei Jahren in der
Länderkammer bereits den neuen Stromtrassen zugestimmt hatte, focht
ihn nun nicht an. Die gehässigen Kommentare nahm er gelassen in Kauf.
Die bisweilen wütenden Bürgerproteste gegen neue Strommasten nutzte
der Regierungschef geschickt als Hebel, um beschlossene Verträge
wieder zu kippen. Er pokerte auch um die Macht, um das Durchsetzen
eigener Interessen. Mit den neuen Trassen will die CSU die Wahlen
gewinnen. Am Ende muss man festhalten, dass das, was nun von den
Koalitionsspitzen an Eckpunkten festgezurrt wurde, besser ist als die
vorherigen Pläne. Es soll wesentlich mehr Erdkabel statt riesiger
Leitungen an Hochmasten geben, gut so. Bestehende Stromtrassen, etwa
antlang von Autobahnen, sollen für neue Leitungen genutzt werden, in
Ordnung. Und auf die eine oder andere Leitung kann man sogar gänzlich
verzichten, prima. Man fragt sich nur, warum die hochbezahlten
Trassen-Planer sowie die Bestimmer in der Politik nicht längst selbst
auf diese Ideen gekommen sind. Die Energiewende in Deutschland wird
indes von anderen Ländern bisweilen spöttisch, ungläubig, vor allem
jedoch aufmerksam beobachtet. Viele läuten im Gegensatz zu
Deutschland gerade eine Renaissance der Atomkraft ein. Dass sich ein
großes Industrieland den Totalausstieg aus der Kernkraft vornimmt,
ist beispiellos. Dass es dabei über den genauen Weg ins
Nach-AKW-Zeitalter heiße Auseinandersetzungen, auch Fehlschläge und
Irrwege gibt, ist angesichts der Größe der Herausforderung normal.
Merkel, Seehofer und Gabriel haben den deutschen Weg hin zu den
erneuerbaren Energien nun etwas genauer beschrieben.
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Mittelbayerische Zeitung
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