Weser-Kurier: Leitartikel von Moritz Döbler über Flüchtlingspolitik
Geschrieben am 14-09-2015 |
Bremen (ots) - Das Boot ist voll. Mit dem Slogan machten
Rechtsextreme vor einem Vierteljahrhundert Wahlkampf. Auch der
"Spiegel" zeigte 1991 ein volles Boot auf dem Titel, dazu die Zeile
"Flüchtlinge, Aussiedler, Asylanten. Ansturm der Armen". Die
Angstmache verfing nicht, das Boot war nicht voll. Das
Einwanderungsland Deutschland entwickelte sich zu einer der
erfolgreichsten Volkswirtschaften. "Das Boot ist nie voll",
behauptete Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann
vor einem Jahr. Kaum ein Politiker würde das heute noch so sagen.
"Für politisch Verfolgte ist das Boot nie voll", relativiert sich
Kretschmann inzwischen selbst. Und der Oberbürgermeister Münchens
sagt das Gegenteil: "Wir sind einfach voll hier in München." Dieter
Reiter ist ein SPD-Mann, kein Rechter. Er kommt aus der
Stadtverwaltung, er weiß, wovon er spricht. München ist voll. Es ist
das erste Warnzeichen, dass Angela Merkels Ansage, so honorig sie
ist, mit der Realität schwer in Einklang zu bringen ist. "Wir
schaffen das", sagte die Bundeskanzlerin. Aber so chaotisch, wie es
jetzt läuft, schaffen wir das eben nicht wirklich, vor allem, weil
nicht klar ist, wer mit "wir" und was mit "das" eigentlich gemeint
ist. München ist voll - und Bremen? Bürgermeister Carsten Sieling
merkt an, auch Bremen sei "an der Grenze" der Aufnahmekapazitäten.
Nachprüfen kann das niemand. München ist jedenfalls voller als
Bremen, doch führen solche Aufrechnungen nicht weiter. Es hilft
nichts, der Bund muss die Verantwortung übernehmen; jetzt sind
Ordnung, Tempo und Geld gefragt. Es sind solche historischen Momente,
in denen Politiker einen Ruf begründen können. Man denke an Helmut
Schmidt, der als Hamburger Polizeisenator 1962 seine Kompetenzen
überschritt, um die Folgen der Sturmflut in den Griff zu kriegen.
Halt - das Beispiel Schmidt wirkt bis heute, aber um eine Flut geht
es nicht. Es sind Menschen, von denen die Rede ist. Und voll waren
ihre Schlauchboote, mit denen sie das Mittelmeer überquert haben.
Menschlichkeit und Verwaltungshandeln, Empathie und Bürokratie
schnell und schlüssig in Einklang zu bringen, darum muss es gehen.
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Weser-Kurier
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