Lausitzer Rundschau: Die Linke nach Gysi
Opposition wählt neue Fraktionsführung
Geschrieben am 12-10-2015 |
Cottbus (ots) - Um Missverständnissen vorzubeugen: Auch wenn
Gregor Gysi heute offiziell als Fraktionschef der Linken abtritt, so
bleibt er doch dem Bundestag erhalten, wo er für seine Partei noch
gelegentlich reden wird. Nur eben als Hinterbänkler. Bei einem
politischen Alphatier wie Gysi mag das kaum vorstellbar sein. Aber
genauso dachte man einst auch über Joschka Fischer. Und irrte sich.
Knapp ein Jahr nach der verlorenen Bundestagswahl im Jahr 2005 trat
das grüne Schwergewicht damals den politischen Totalrückzug an. Und
siehe da, die Grünen stehen heute - gemessen an den Umfragen - immer
noch ungefähr dort, wo sie auch schon mit Fischer waren. Keiner ist
eben unersetzbar. Gysi galt bei den Linken ebenfalls als Dompteur der
zerstrittenen Parteiströmungen, die selbst vor offenen Anfeindungen,
ja Hass, nicht haltmachten. Er war ein Meister des Moderierens. Seine
beiden Nachfolger, Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch, dagegen
verstanden sich bislang eher aufs Polarisieren. Sie für den radikalen
Flügel, er für die Reformer und Pragmatiker der Partei. Kann das gut
gehen? Die Startbedingungen sind zweifellos wenig berauschend. Erst
kürzlich tauchte eine drei Jahre alte Liste auf, die Bartsch ins
Zwielicht rückt. Sie stammte aus der Zeit schlimmster parteiinterner
Grabenkämpfe, und der Gysi-Vertraute hatte darin die restlichen
Führungsfiguren der Partei in ein "Freund-Feind-Schema" eingeteilt.
Man kann das als Schnee von gestern abtun. Doch zeigt die Enthüllung
zum jetzigen Zeitpunkt, dass bei den Linken noch immer reichlich
Misstrauen vorhanden ist. Das eigentliche Problem dürfte jedoch die
künftige Ausrichtung der Fraktion sein. Die ganz Linken unter den
Linken haben nie einen Hehl daraus gemacht, dass der politische
Bösewicht Nummer eins für sie nicht die Union ist, sondern die SPD.
Mit Sahra Wagenknecht wird diese Bösewicht-Denke nun gewissermaßen
sogar führungstauglich. Ein solcher Kurs kann nur in die politische
Isolierung führen. Bündnisse links von CDU und CSU sind damit
unmöglich. Es wird im Fall Wagenknecht interessant sein, zu
beobachten, ob und wie das Amt die Person verändert. Das gilt auch
für Dietmar Bartsch. Letztlich sind die beiden Gysi-Erben eine
Personifizierung jenes politischen Grundkonflikts, den die Linke, als
sie noch PDS hieß, schon für sich geklärt hatte, der aber nach der
Fusion mit der WASG, also den Linken im Westen, wieder aufgebrochen
ist: Wie halten wir es mit dem Regieren? Gregor Gysi gebührt
zweifellos das Verdienst, die Linke mittlerweile so etabliert zu
haben, dass sie von ihren Gegnern respektiert wird. Wenn die Partei
im Bund mehr als nur ewige Opposition sein will, dann ist das jedoch
zu wenig. So gesehen werden Wagenknecht und Bartsch nicht nur
moderieren müssen. Sie müssen integrieren - sofern das bei der Linken
überhaupt noch möglich ist.
Pressekontakt:
Lausitzer Rundschau
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