Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Xavier Naidoo
Geschrieben am 22-11-2015 |
Bielefeld (ots) - Kein bisschen Frieden beim European Song
Contest: Nach heftigen Protesten im Internet will der NDR Xavier
Naidoo doch nicht zum ESC nach Stockholm schicken. Der Vorgang ist
ein Paradebeispiel für Ungeschick, Feigheit und Vorverurteilung. Die
ARD hat sich bis auf die Knochen blamiert, Xavier Naidoo ist
demontiert, die Scharfrichter im Internet haben triumphiert.
Es war schlicht instinktlos vom NDR, einen Mann wie Xavier Naidoo
im Alleingang zu Deutschlands Vertreter beim größten Musikereignis
der Welt zu bestimmen. Spätestens nach dem überschwänglich gefeierten
Sieg von Conchita Wurst 2014 in Kopenhagen war klar, dass
Homosexuelle in Deutschland die eigenmächtige Entscheidung des
Senders für Naidoo als Affront ansehen mussten. Der Sänger erweckte
in der Vergangenheit mit Liedern wie »Wo sind sie jetzt« und
unsäglichen Zeilen wie »Ihr habt einfach keine Größe und eure
kleinen Schwänze nicht im Griff« den Eindruck der
Schwulenfeindlichkeit. Weil gerade die schwule Community den ESC
liebt, ist für sie ein Mann wie Naidoo ein rotes Tuch. Andere
wiederum halten den Künstler für einen deutschtümelnden politischen
Wirrkopf.
Der NDR scheint sich mit diesem Hintergrund nicht oder zu wenig
auseinandergesetzt zu haben. Das war fahrlässig und dafür hat der
Sender im Internet die Quittung bekommen. Feigheit müssen sich die
Verantwortlichen dafür vorwerfen lassen, dass sie Naidoo wieder
eiskalt abservierten, um den eigenen Imageschaden nicht noch größer
werden zu lassen. Statt an der Argumentation festzuhalten, man habe
einen sehr guten Sänger mit herausragender Bühnenpräsenz gesucht,
wollen sie nun plötzlich mit dem Gescholtenen nichts mehr zu tun
haben.
In den vergangenen Tagen wurde deutlich, dass Naidoo von Anfang an
keine Chance hatte. Der Rückhalt im Sender war nur vorgeschoben, und
der Mob im Internet ist nicht bereit, ihm eine zweite Chance zu
geben. Naidoo betonte, er habe sich von der Bewegung der
»Reichsbürger« distanziert und stehe für ein buntes, weltoffenes
Deutschland. Im Internet, dem Golgotha der Moderne, wo unbequeme,
schon einmal negativ aufgefallene und politisch unkorrekte
Zeitgenossen ans digitale Kreuz geschlagen werden, wollte man das
nicht hören. Das Urteil über Naidoo stand fest, und neben den
Homosexuellen, die die Wahl Naidoos aufregte, spielten sich wie bei
jedem Shitstorm viele Trittbrettfahrer als selbstgerechte
Scharfrichter auf.
Im Internet geht es vielen nicht um das Abwägen des Für und Wider,
sondern ums Vernichten, dort wird Diskussion oft durch Empörung
ersetzt. Der Regisseur Dieter Wedel beklagte gerade die »Hetzjagden«
gegen Personen: »Menschen verstecken sich in der Anonymität des
Netzes und kippen kübelweise ihren Hass auf die Welt.« Auf die Welt
und diesmal auf Naidoo.
Pressekontakt:
Westfalen-Blatt
Chef vom Dienst Nachrichten
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261
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