Westfalen-Blatt: zu Köln
Geschrieben am 09-01-2016 |
Bielefeld (ots) - Nach einer Woche voller Halbwahrheiten und
Beschwichtigungen ist Kölns Polizeipräsident Wolfgang Albers seinen
Job los. Seine Versetzung in den einstweiligen Ruhestand kann nicht
überraschen. Die Probleme aber, die nach den Ereignissen in der
Silvesternacht offenbar wurden, sind dadurch nicht gelöst. »Politisch
heikel« - mit dieser Begründung soll ein verantwortlicher
Dienstgruppenführer ursprünglich die Herkunft der rund um den
Hauptbahnhof kontrollierten Männer verschwiegen haben. Politisch
heikel ist es aber einzig und allein, die Dinge nicht beim Namen zu
nennen. Die halbe Wahrheit ist das ganze Elend. So ein Vorgehen nützt
niemandem etwas und schadet besonders all jenen, die aus
bloßer Angst um ihr Leben nach Deutschland geflüchtet sind und sich
hier nach Kräften bemühen, Teil unserer Gesellschaft zu werden. Nun
ist der Schaden riesengroß, und er wird kaum gutzumachen sein. Den
Schaden haben zuerst die Frauen, die an Silvester Opfer wurden.
Sie sind an Leib und Seele verletzt worden. Den Schaden hat jeder
Einzelne von uns. Die Frage lautet: Wo kann man sich zu welcher
Tageszeit noch halbwegs sicher bewegen und wo bleibt man besser
weg? Und den Schaden hat die gesamte Gesellschaft. Die Debatte über
die Möglichkeiten und Grenzen, über Chancen und Risiken der
Integration wird fortan in einem vollends vergifteten Klima
geführt werden. Der Generalverdacht ist im Raum. Dabei gibt es
sexualisierte Gewalt auch beim Oktoberfest und zu Karneval. Auch
unser Kulturkreis ist voll von Übel. Experten weisen zudem stets
darauf hin, dass die meisten Taten im familiären Umfeld passieren.
Stimmt alles, macht aber nichts besser. Kein Unrecht kann ein anderes
rechtfertigen. Zudem ist Köln kein Einzelfall. Liest man, was der
Sicherheitschef einer Bielefelder Diskothek dem WESTFALEN-BLATT
anvertraut hat, kann einem auch im vermeintlich beschaulichen
Ostwestfalen-Lippe Angst und Bange machen. Unter dem Druck der
Öffentlichkeit scheint die Politik nun zu reagieren. Von mehr
Videoüberwachung über verschärfte Ausweisungsregeln für straffällige
Asylbewerber bis hin zu Haftverbüßung im Heimatland scheint in
einer hektischen Debatte beinahe alles vorstellbar. Schon hat ein
neuer Überbietungswettbewerb eingesetzt. »Willkommenskultur« war
gestern, jetzt heißt es: Wer stellt die schärfsten Forderungen auf?
Das steht natürlich nicht unmittelbar im Widerspruch zu dem
ernsthaften Bemühen, Integration möglich zu machen, wirkt aber
trotzdem wie eine Ersatzhandlung. Dabei sollte das Einhalten
unserer Regeln und Gesetze die Grundlage allen politischen
Handelns sein und nicht aktionistische Konsequenz. Wer erst sagen
muss, dass unser Strafrecht für alle gilt, hat schon ein handfestes
Problem. Warum sonst sollte man sich bemüßigt fühlen, eine solche
Selbstverständlichkeit zu betonen? Wenn leitende Polizeibeamte
meinen, es sei ratsam, in der Öffentlichkeit nicht nach bestem
Wissen und Gewissen Auskunft zu geben, dann ist etwas faul in
unserem Land. Längst stehen Politiker, Behördenvertreter und auch
wir Journalisten unter Verdacht. Da ist von »Schweigekartellen« und
»Gesinnungsterror« die Rede, die Verschwörungstheoretiker haben
Hochjunktur. Kurz: Der Kampf um und für die Mehrheitsgesellschaft
ist in vollem Gange. Führen wir ihn weiter so stümperhaft und
inkonsequent, wird die Lage tatsächlich politisch heikel.
Pressekontakt:
Westfalen-Blatt
Chef vom Dienst Nachrichten
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261
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