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Landeszeitung Lüneburg: smartPORT heißt die Strategie- Interview mit Dr. Sebastian Saxe über die Modernisierung des Hamburger Hafens und Veränderungen durch die Informationstechnologie

Geschrieben am 04-02-2016

Lüneburg (ots) - Die vierte industrielle Revolution ist in aller
Munde, den Zukuftstrend Digitalisierung hat der Hamburger Hafen
längst erkannt. "Wir wollen den Hafen zum "smartPort", zu einem
intelligenten Hafen machen", sagt Dr. Sebastian Saxe, Mitglied der
Geschäftsleitung der Hamburg Port Authority (HPA). Von diesen
Erfahrungen könne die gesamte Stadt profitieren. Dabei warnt der
Experte die Industrie eindringlich, nicht den Anschluss zu verpassen.

Herr Dr. Saxe, Sie sind als CIO (Chief Information Officer) und -
ganz neu - CDO (Chief digital Officer) verantwortlich für die
Digitalisierung des Hamburger Hafens. Welche Vision steckt dahinter?

Dr. Sebastian Saxe: Die Digitalisierung ist derzeit einer der
Megatrends, die sich auf der Welt abspielen, ähnlich wie einst das
Thema Globalisierung. Wir haben die Vision, durch das Ausnutzen der
Optionen, die die Digitalisierung bietet, alle Prozesse, die sich im
Hamburger Hafen abspielen, dahingehend zu unterstützen, dass wir
effizienter werden und damit konkurrenzfähiger im Vergleich zu
anderen Häfen. Und im Hinblick auf die Energiebilanz wollen wir den
CO2-Ausstoß reduzieren.

Wie weit ist das Projekt bereits fortgeschritten? Saxe: smartPORT
ist weniger ein Projekt, sondern eine langfristige Strategie. Unser
Ziel: wir wollen den Hamburger Hafen in den nächsten Jahren zum
smartPORT, d.h. zum intelligenten Hafen weiterentwickeln. Bereits
2010 wurden an den wichtigsten Verkehrsknotenpunkten im Hamburger
Hafengebiet Messstellen installiert, um das Verkehrsaufkommen, die
Art der Fahrzeuge und ihre Geschwindigkeit zu messen und in unserem
Port Road Management Center alle Systemdaten zur aktuellen
Verkehrslage auf den Hafenrouten zusammenzufassen. Die
Welthafenkonferenz, die im Juni vergangenen Jahres in Hamburg
stattfand, war für uns die ideale Gelegenheit, nicht nur Visionen auf
Folien, sondern ganz konkrete Projekte aus dem intelligenten Hafen zu
zeigen. smartPORT beruht auf zwei Säulen: smartPORT energy und
smartPORT logistics. Ziel von smartPORT energy ist die energetische
Neuausrichtung des Hamburger Hafens, konkrete Projekte sind hier z.B.
die Landstromanlage für Kreuzfahrtschiffe oder der Flottenaufbau von
E-Fahrzeugen in der HPA. smartPORT logistics steht für intelligente
Lösungen für den Verkehrs- und Warenfluss im Hamburger Hafen sowohl
unter ökonomischen als auch ökologischen Gesichtspunkten. Eines der
Beispiele hier ist eine Informations- und Kommunikationsplattform,
die Disponenten und Lkw-Fahrer mit allen an der Logistik im Hafen
Beteiligten vernetzt. Insgesamt haben wir 18 innovative Projekte
aufgesetzt, d.h. von der Idee bis zur Umsetzung eines Prototyps. An
diesen handfesten Projekten konnten wir zeigen, was Digitalisierung
für einen Hafen bedeuten kann.

Werden diese Projekte fortgeführt? Saxe: Ja, viele laufen bereits
produktiv und werden weiter ausgebaut. In der Nautischen Zentrale,
sozusagen dem "Tower" für die Schiffe, die in die Hamburger
Hoheitsgewässer kommen, kommt das Leitstandsystem PORTMonitor zum
Einsatz, das in Echtzeit und auf Basis georeferenzierter Daten
Informationen über Ereignisse und Zustände der Wasserstraßen im
Hamburger Hafen liefert, welche die Nautische Zentrale zur
Überwachung des Hafengebiets und seiner Elbzufahrt benötigt. Hierzu
zählen unter anderem die aktuelle Position und die Ziele der Schiffe,
Pegeldaten, Liegeplätze, Brückenhöhen oder auch aktuelle Baustellen.
Seit Anfang 2013 gibt es den PORTMonitor auch in einer mobilen
Version auf dem Tablet-PC. Er kann somit standortunabhängig während
der Kontrollfahrten der Mitarbeiter des Hafenkapitäns auf den
Barkassen eingesetzt werden und liefert quasi durch die Luft
Echtzeitinformationen, z.B. von Baustellen, auf der Elbe an die
digitale Monitorwand in der Nautischen Zentrale. Im Projekt smartROAD
ging es um die Digitalisierung eines Straßenabschnitts. Dafür wurden
Sensoren und Induktionsschleifen getestet, die an und in Straßen
eingesetzt werden können, um die Erfassung der Verkehrsströme zu
realisieren und damit letztendlich den Verkehrsfluss zu optimieren.
Im Hinblick auf Nachhaltigkeitsaspekte spielt auch Licht eine große
Rolle. Mithilfe von Sensoren an Lichtmasten wird die
Straßenbeleuchtung gedimmt, wenn nur wenig Verkehr herrscht, was zu
deutlichen Einsparungen führt. Die Teststecke hierfür ist knapp drei
Kilometer lang. Auch dieses Projekt wird fortgeführt, um valide
Evaluationsdaten zu bekommen und damit die Voraussetzung zu schaffen,
die richtigen Sensoren einzusetzen und die Teststrecke auszuweiten.
Auch auf dem Verkehrsträger Schiene waren wir aktiv. Es gibt im
Hamburger Hafen ca. 300 Kilometer Schienen und 800 Weichen. Letztere
werden normalerweise in einem regelmäßigen Zyklus gewartet. Die
intelligente Weiche - die sogenannte smartSWITCH - ist mit einer
Multisensorik ausgestattet. Sich abzeichnende Schwergänge werden
umgehend gemeldet und so frühzeitig erkannt. Auf diese Weise kann das
Technikpersonal eingreifen, bevor Störungen auftreten und die Weichen
werden bedarfsgerecht geschmiert.

Der Containerumschlag im Hamburger Hafen ist um rund 10 Prozent
zurückgegangen, hat das Folgen für die Zukunft des smartPORT? Saxe:
Die Herausforderungen der Zukunft sind dadurch aber nicht
geschmälert, die derzeitigen Zahlen sind vielmehr eine
Momentaufnahme, die unser Anliegen nicht berühren. Auch in Zeiten des
Umschlagrückgangs muss die Digitalisierung weiter vorangetrieben
werden, um den Herausforderungen von morgen begegnen zu können!

Warum ist es gerade für den Hamburger Hafen so wichtig, auf
Digitalisierung zu setzen? Saxe: Die Lage des Hafens mitten im Herzen
der Stadt stellt an uns, die Hamburg Port Authority (HPA), besondere
Anforderungen. Die direkte Nachbarschaft des Hafens zur Wohnbebauung
der Stadt, aber auch der hohe Wirtschafts- und Durchgangsverkehr
stellen dabei die größten Herausforderungen dar. Neben dem weiteren
Ausbau der Verkehrswege im Hafen müssen die vorhandenen
Infrastrukturen intelligent und effizient genutzt werden, denn auf
der begrenzten Hafenfläche können und wollen wir Straßen, Schienen
und Wasserwege nicht unbegrenzt erweitern. Bereits früh haben wir
daher die Chancen, die uns die IT als Enabler zur Optimierung der
Geschäftsprozesse bietet, erkannt und auch angewandt.

Hamburg hat mit einem weiteren Nachteil zu kämpfen, dem begrenzten
Tiefgang der Fahrrinne. Macht der Trend zu Containerriesen die
Modernisierungsvorhaben zunichte? Saxe: Ob die Containerschiffe noch
größer werden, wird derzeit kontrovers diskutiert. Ob sich das
insgesamt rechnet, steht infrage. Denn größere Schiffe haben nicht
nur mehr Tiefgang, sondern werden auch immer breiter und länger,
benötigen breitere Containerbrücken zur Abfertigung der Schiffe an
der Kaikante, sodass in den Hafenanlagen kostenintensive Umbauten
nötig wären. Eine OECD-Studie hat ergeben, dass die Vorteile der
Containerriesen geringer sind als angenommen. Das führt in der
Branche zu Überlegungen, ob es sinnvoll ist, die Schiffe immer weiter
wachsen zu lassen.

Wenn alles automatisch läuft, wird der Hafen künftig ohne Menschen
auskommen? Saxe: Die große Angstfrage, ob Digitalisierung die
Menschen ersetzt, wird immer wieder gestellt. Wir haben gemeinsam mit
der TU Hamburg-Harburg eine Untersuchung zu Tätigkeiten entlang der
intermodalen Verkehrswege durchgeführt, in der wir darlegen, dass mit
der Digitalisierung auch neue Berufsgruppen entstehen, zum Beispiel
eine neue Berufsgruppe von Technikern, die die digitalen Sensoren
verbauen, vernetzen und warten. Ich bin davon überzeugt, dass der
Hafen im digitalen Zeitalter nicht menschenlos sein wird. Einige
Tätigkeiten verschwinden, aber neue Berufe entstehen.

Wenn im Hafen Hightech auf höchstem Niveau im Spiel ist, müssen
dann nicht auch die Beteiligten im Hintergrund mitgenommen werden?
Saxe: Ja, das ist ein wichtiger Punkt. Daher gehen wir mit unseren
Ergebnissen auch regelmäßig an die Öffentlichkeit. Wir sehen uns als
innovativen Vorreiter und möchten anhand konkreter Beispiele die
Vorteile der Digitalisierung für alle Beteiligten aufzeigen. Die
Beteiligten selber sind unterschiedlich weit in ihrem
"Digitalisierungsdenken". Jetzt geht es darum, zu überlegen, wie man
die verschiedenen Beteiligten - vom Zoll über Veterinärwesen,
Speditionen bis hin zu Lagerhaus und Verkehrsunternehmen - verzahnen
kann, um den "Weg der Digitalisierung" gemeinsam zu beschreiten. Das
ist ein bisschen Pionierarbeit.

Die Ausdehnung der übergreifenden Vernetzung verursacht riesige
Datenmengen - Schon heute gibt es 300 Hacks täglich. Sind Sie auf
Cyberangriffe vorbereitet? Saxe: Die Gefahren sind uns sehr wohl
bewusst. Es gilt Risiken und Chancen gegeneinander abzuwägen. Dennoch
sind es meiner Meinung nach die Vorteile der Digitalisierung, die
überwiegen. Wir setzen uns z.B. mit der Sicherheitsstruktur von
Netzen und Sensoren auseinander. Protokolle von Sensoren sind ein
bisher noch nicht standardisiertes Feld. Gemeinsam mit der TU
Hamburg-Harburg haben wir eine smartPORT-Professur errichtet, die
sich u.a. mit Sicherheitsmechanismen von Sensoren auseinandersetzen
wird. Denn Sensoren sind in der Kette der Datennetze das letzte Glied
und stellen oft Angriffsziele von Hackern dar. Die Achillesferse ist
dort, wo das Netz ungeschützt oder unsystematisiert verlassen wird.
Daher liegt hier ein Forschungsschwerpunkt. Durch den Einsatz neuer
Technologien bei den Sicherheitsmechanismen selber gibt es auch für
diese Fragestellungen gute Lösungsansätze.

Welchen Nutzen hat der smartPORT für die Hansestadt und die
Region? Saxe: Von den Erfahrungen, die wir im Hafengebiet mit der
Digitalisierung machen, kann die ganze Stadt profitieren. Aktuell
wird überlegt, wie diese auf die Stadt übertragen werden können.
Hamburg beabsichtigt, sich für den ITS Weltkongress 2021 zu bewerben
(Intelligent Transport Systems). Dort sollen auch Innovationen auf
der Basis von Erfahrungen, die man im Hafen gemacht hat, vorgestellt
werden.

Auf der CeBIT 2015 wurde der Mittelstand ermahnt, offener für
Digitalisierungsstrategien zu sein. Kann der smartPORT hier Zeichen
setzen? Saxe: Durchaus, denn am Beispiel des Hafens wird sehr
plastisch deutlich, welches Potenzial die Digitalisierung birgt. Ich
glaube schon, dass der Mittelstand in Deutschland insgesamt mehr tun
muss in Sachen Digitalisierung. Es besteht die große Gefahr, dass
ganze Geschäftsmodelle einbrechen, wenn hier der digitale Anschluss
verpasst wird. Ich warne eindringlich vor dem "Kodak-Effekt".

Das Interview führte Dietlinde Terjung



Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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