Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zum Bundespräsidenten: Anti-Trump gesucht von Reinhard Zweigler
Geschrieben am 11-11-2016 |
Regensburg (ots) - Es gibt gewaltige Unterschiede zwischen einem
Präsidenten der USA und dem deutschen Staatsoberhaupt. Der Chef des
Weißen Hauses gilt mit seiner Machtfülle immer noch als der
mächtigste Mann der Welt. Die US-Administration ist gewissermaßen
"seine" Regierung. Er befehligt die größte Militärmacht des Globus`.
In seinen Händen liegt die Entscheidungsgewalt über den Einsatz
atomarer Waffen. Unabhängig davon, dass bald der höchst umstrittene
Polit-Neuling Trump dieses Amt bekleiden wird, ist es der Inbegriff
von Macht. Wer dagegen im Berliner Schloss als deutscher
Bundespräsident wirkt, muss mit viel, viel kleineren Brötchen vorlieb
nehmen. Seine Macht wurde, eingedenk der schlechten Erfahrungen der
Weimarer Republik sowie vor allem der Hitler-Diktatur, von den Vätern
und Müttern des Grundgesetzes im Grunde auf die des Wortes
eingedampft. Von seinen politischen Funktionen bei der Ausfertigung
von Gesetzen, der Ausrufung von Wahlen, Auszeichnungen von Bürgern
und dergleichen einmal abgesehen. Mit dieser Beschränkung der
Befugnisse des Staatsoberhaupts ist die Bundesrepublik nun fast schon
sieben Jahrzehnte eigentlich immer gut gefahren. Regierung, vor allem
die Kanzler, und Parlament erhielten in Gestalt des Bundespräsidenten
ein wortmächtiges Gegenüber, mitunter sogar ein Korrektiv. Das war
und ist so von Theodor Heuss, über Richard von Weizsäcker bis zu
Amtsinhaber Joachim Gauck. Sie alle waren oder sind Präsidenten des
Wortes, die nicht nur auf Erfolge verweisen, sondern auch auf
Probleme, Unzulänglichkeiten in der Gesellschaft hinweisen. Das
machte und macht sie bei einer Mehrheit des Volkes beliebt. Für die
politische Klasse gilt das nicht immer. Anders als in den USA, wo der
Präsidentschaftswahlkampf inzwischen viele Millionen Dollar
verschlingt und auch - siehe Trump - die Grenzen des politischen
Anstands unterläuft, ist die Auswahl geeigneter Kandidaten in
Deutschland zumeist keine öffentliche, sondern eine verschwiegene
Veranstaltung der politischen Spitzen hinter verschlossenen Türen.
Das ist zu beklagen. Die jetzige Geheimniskrämerei und Kungelei der
schwarz-roten Koalitionsspitzen kann auch nicht mit dem Verweis auf
die geringe politische Macht des deutschen Staatsoberhaupts bemäntelt
werden. Ein direktes Votum des Volkes über den Bundespräsidenten oder
die Präsidentin ist längst überfällig. An den Befugnissen des
Staatsoberhaupts müsste deswegen nichts geändert werden. Gegner einer
Direktwahl verweisen inzwischen etwa auf Frankreich, wo nicht zum
ersten Mal Rechtspopulisten, wie jetzt Marine le Pen, nach dem
höchsten Staatsamt streben. Auch auf Österreich wird verwiesen, wo
der smarte FPÖ-Mann Norbert Hofer nach dem Amt strebt. Freilich gibt
es die Gefahr, dass in Zeiten der großen Vereinfacher und
rauhbeinigen Haudraufs vom Schlage eines Donald Trump Populisten Land
gewinnen. Doch es gibt eben auch die große Chance, mit einem
emotionalen und faktenreichen Wahlkampf der Demokratie hierzulande
neue Impulse zu verleihen. So oder so braucht Deutschland als
Nachfolger des Glücksfalles Gauck eine Art Anti-Trump als nächsten
Bundespräsidenten. Einen, der das Volk nicht weiter spaltet, einen
der nicht knackige Parolen im Stile eines Kurznachrichtendienstes
drischt, sondern einen, der in Lutherscher Manier, dem Volk aufs Maul
schaut, ihm aber nicht zum Munde redet. Und es könnte endlich auch
mal eine Frau an die Spitze des Protokolls rücken. Alle Personen, die
für das Präsidentenamt gehandelt werden - von Steinmeier, von der
Leyen bis Kretschmann - scheinen für das Schloss Bellevue geeignet.
Die Kungelei der Koalitionäre ist längst überholt.
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