Neue Westfälische (Bielefeld): Der Mörder von Berlin ist tot
Erleichtert - und betroffen!
Thomas Seim
Geschrieben am 23-12-2016 |
Bielefeld (ots) - Die Nachricht kommt aus Italien - und alle, die
sie erreicht, reagieren ähnlich: Wir sind erleichtert, dass der
Mörder von Berlin, der zwölf Menschenleben auf dem Gewissen hat, der
außerdem viele Unschuldige zum Teil gefährlich, auch dauerhaft
verletzt hat, niemandem mehr gefährlich werden kann. Es gibt kein
Mitleid für einen Killer, kein Verständnis für diesen skrupellosen
Verbrecher, keine Erklärungen dafür, dass jemand ausschließlich
darauf aus war, anderen zu schaden, ihnen Schmerzen zu bereiten, sie
zu töten. Dann erinnert man sich noch einmal an das Bild des Vaters,
dem ein Arm fehlt, der in einer ärmlichen Hütte in Tunesien mit
seiner Frau leben muss, und niemandem - auch nicht sich selbst -
erklären kann, was den Sohn angetrieben hat. Und doch trauert er. Wie
jeder Vater trauert, wenn er sein Kind verliert. Der Tod des Killers
muss uns auch betroffen machen. Die Tatsache, dass wir über den Tod
eines Menschen am Tag vor Weihnachten "erleichtert" sind - muss uns
betroffen machen. Wollen wir wirklich "froh" sein, dass jemand tot
ist? Unsere Sicherheit, besser unsere gefühlte Sicherheit wäre auch
anders zu garantieren gewesen. Mehr noch: Die Festnahme Anis Amris,
so heißt der tote Attentäter, hätte zu vielen wichtigen und neuen
Erkenntnissen über die Organisationsstruktur und die
Rekrutierungsmaßnahmen des Islamischen Staates (IS) im Blick auf
weitere Selbstmordattentate führen können. Mit diesen Erkenntnissen
wären womöglich wirkungsvollere Fahndungen und Zugriffe der
Einsatzkommandos in Deutschland und anderen europäischen Ländern zu
organisieren gewesen. Nun, es ist anders gekommen und immerhin ist
das Gefühl von Sicherheit seit gestern Morgen wieder etwas größer
geworden. So richtig gute Gründe für dieses neue Sicherheitsgefühl
gibt es allerdings kaum. Denn auch nach dem Tod des Mörders bleiben
noch viele Fragen an unsere Sicherheitsarchitektur. Wieso konnte der
Mann nach seiner verheerenden Tat überhaupt entkommen? Wieso konnte
er in der Nacht nach der Tat noch in Berlin sein, ohne entdeckt zu
werden? Wieso konnte er erneut durch halb Europa reisen, bevor er in
Mailand gestellt wurde? Hatten Zielfahnder ihn im Auge oder war es
ein zufälliger Zugriff der italienischen Polizei? Schließlich: War
Amri tatsächlich ein Einzeltäter oder hatte er Helfer, die nun
genauer geprüft und zur Verantwortung gezogen werden müssen? Oder
gibt es gar eine organisierte Terror-Struktur des IS bei uns? Unsere
Sicherheitsbehörden täten gut daran, möglichst schnell möglichst
viele richtige Antworten auf diese Fragen zu finden, damit sie die
Politik in die Lage versetzen, dort per Gesetz und in den
Organisationsstrukturen unserer Polizei in Bund und Ländern
nachzubessern, wo durch die Berliner Vorgänge Defizite offenbar
geworden sind. Wir dürfen - ähnlich wie im Kampf gegen den RAF-Terror
in den 1970er-Jahren - keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass
wir dem Terror und den Verbrechen keine Chance geben. Alt-Kanzler
Helmut Schmidt (SPD) hat den Verbrechern damals zugerufen, sie hätten
keine Chance, denn: "Gegen den Terrorismus steht nicht nur der Wille
der staatlichen Organe, gegen Terrorismus steht der Wille des
gesamten Volkes". So ist es! Der Mörder von Berlin ist tot. Wir sind
erleichtert, nicht froh. Und betroffen. Ich wünsche Ihnen friedliche
Weihnachten.
Pressekontakt:
Neue Westfälische
News Desk
Telefon: 0521 555 271
nachrichten@neue-westfaelische.de
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