Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Werner Kolhoff zur Situation von SPD-Chef Martin Schulz
Geschrieben am 05-12-2017 |
Regensburg (ots) - Geschlossenheit ist ein sehr hohes Gut in der
Politik. Und in der Tat: Wenn eine Partei gespalten ist, oder
dauerhaft zerstritten, dann macht man doch besser gleich zwei daraus.
Die Frage ist nur, wie viel Geschlossenheit sinnvoll ist. Als Martin
Schulz im März bei seiner Wahl zum SPD-Chef 100 Prozent bekam,
herrschte erst große Verblüffung, dann Jubel. Aber man ahnte schon,
dass da etwas faul sein musste. Solche Geschlossenheit ist ein
Trugbild. Im besten Fall Selbsttäuschung, im schlechtesten zugleich
auch noch Täuschung der Wähler. Erst riefen sie Schulz, der ja
angeblich sogar übers Wasser laufen konnte, "Hosianna" zu. Und nach
der Wahlniederlage "kreuziget ihn". Es wäre doch besser, auch die
eigenen Leute würden ihre Vorsitzenden etwas irdischer betrachten.
Schon, weil der Sturz hinterher dann nicht so tief ist. Martin Schulz
ist nicht der einzige Fall. Nachgerade komisch wirkt es, dass Markus
Söder von der CSU-Landtagsfraktion gerade "einstimmig" zum neuen
Ministerpräsidenten-Kandidaten gekürt wurde. Und das nach all den
"Schmutzeleien". Keiner, der nicht ein bisschen nachtragend ist? Und
als Christian Lindner am 19. November nachts vor die Presse trat und
das Scheitern von Jamaika verkündete, fand sich in der ganzen
Führungsriege der FDP niemand, in Zahlen Null, der Zweifel an diesem
Kurs geäußert hätte. Nicht vorher, nicht hinterher. Die genannten
Parteien sind Prototypen für das Führungsmodell "Großer
Vorsitzender". Die jeweiligen Chefs treten immer allein zu den Wahlen
an, ohne Gegenkandidaten. Sie dürfen auf Parteitagen mehr als eine
Stunde dauernde Vorträge halten, die als Höhepunkt der Veranstaltung
gelten. Bei Schulz sind die Reden gespickt mit persönlichen, oft sehr
sentimentalen Erinnerungen, um die niemand gefragt hat. Bei Lindner
mit eloquenten Sprüchen, die ihm selbst am meisten gefallen. Bei
Merkels Reden herrscht zwar gepflegte Langeweile, dafür ist sie
Kanzlerin. Gemessen wird die Zustimmung dann in der Dauer des
Beifalls und in der Abweichung nach unten von 100 Prozent bei der
Wiederwahl. Das Ganze erinnert, was die Führungskultur angeht, doch
ein wenig an frühere SED-Parteitage. Grüne, Linke und AfD haben
jeweils Doppelspitzen. Notgedrungen, denn sie sind Parteien, deren
Gründungsflügel hart miteinander konkurrieren. Dass die FDP,
ebenfalls eine Kleinpartei, es anders hält, liegt an der großen
Bereitschaft ihrer Mitglieder, jeweils einer Person zu folgen und auf
deren Erfolgsaussichten zu setzen. Dass ausgerechnet liberale
Freigeister so ticken, ist erstaunlich. Zumal die bisherigen
Erfahrungen nicht alle positiv waren. Siehe Westerwelle: "Auf jedem
Schiff, das dampft und segelt, gibt's einen, der die Sache regelt."
Das Schiff ging unter. Vielleicht muss man sich in allen Parteien von
dem 100-Prozent-Ziel verabschieden, auch in den großen. Schon weil
jede von ihnen einen oder gar mehrere Koalitionspartner braucht, um
zu regieren. Und weil Basis und Bürger nicht mehr so folgsam sind wie
früher. Beteiligung ist angesagt. Online-Foren, Regionalkonferenzen,
Mitgliederentscheide - das passt nicht mehr so richtig mit der
Führungskultur "Großer Vorsitzender" zusammen, mit der
"Topdown"-Kommunikation von oben nach unten. Auch der Zweifel ist
eine Tugend. Martin Schulz sollte froh sein, wenn er am Donnerstag
ordentlich Gegenstimmen bekommt. Es würde zeigen: Seine Partei lebt.
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