"Menschenrechte müssen täglich verteidigt und bekräftigt werden" - Menschenrechtsinstitut stellt Bericht vor
Geschrieben am 06-12-2017 |
Berlin (ots) - Zum zweiten Mal stellt das Deutsche Institut für
Menschenrechte seinen jährlichen Bericht über die Entwicklung der
Menschenrechtssituation in Deutschland vor. Er umfasst den Zeitraum
vom 1. Juli 2016 bis zum 30. Juni 2017.
Die politischen Entwicklungen in Europa, etwa in Polen, Ungarn und
der Türkei, zeigen: Menschenrechte, Demokratie und
Rechtsstaatlichkeit sind nicht selbstverständlich. "Sie müssen
täglich verteidigt und bekräftigt werden. Das gilt auch für
gefestigte demokratische Rechtsstaaten wie Deutschland. Auch
hierzulande erleben wir, dass die Menschenrechte infrage gestellt
werden, dass Hass gegen andere propagiert wird und dass aus diesen
Worten Taten werden", sagt die Direktorin des Deutschen Instituts für
Menschenrechte, Beate Rudolf, anlässlich der Vorstellung des Berichts
am Mittwoch in Berlin. "Der zweite Menschenrechtsbericht befasst sich
mit Menschen in Deutschland, die aufgrund ihrer Situation besonders
verletzlich sind und im politischen Geschäft leicht aus dem Blick
geraten", erklärt Rudolf.
Geflüchtete Menschen mit Behinderungen
Geflüchtete Menschen mit Behinderungen sind in Deutschland mit
enormen Schwierigkeiten konfrontiert - so gibt es kaum barrierefreie
Unterkünfte; Hilfsmittel und Therapien werden gar nicht oder nur nach
aufwendigen Verfahren bei den Sozialbehörden genehmigt. Für den
Bericht hat das Deutsche Institut für Menschenrechte Organisationen
befragt, die im Jahr 2016 rund 2.000 Asylsuchende mit Behinderungen
beraten und unterstützt haben. "Wir kritisieren, dass es nach wie vor
keine Verfahren zur systematischen Identifikation besonders
schutzbedürftiger Menschen gibt", sagt Rudolf. "Das bedeutet, dass
Beeinträchtigungen nicht systematisch als solche erkannt werden und
demzufolge keine bedarfsgerechte Versorgung stattfindet."
"Es ist nicht sichergestellt, dass geflüchtete Menschen mit
Behinderungen nach dem geltenden Asylbewerberleistungsgesetz
angemessen medizinisch versorgt werden", so Rudolf. Ein Beispiel aus
der Praxis: Ein zweijähriges Kind bekommt Fußorthesen und Stehständer
erst mit zweijähriger Verzögerung bewilligt. Deshalb sind
Fehlbildungen in Hüfte und Gelenken entstanden und das Kind wird
womöglich nie richtig laufen lernen. "Daher sollte der Gesetzgeber
einen Rechtsanspruch auf bedarfsdeckende Leistungen festlegen und
zumindest den Personen einen Zugang zur Regelversorgung
gewährleisten, die nicht sinnvoll ambulant in Flüchtlingsunterkünften
versorgt werden können, wie beispielsweise pflegebedürftige, schwer-
und mehrfachbehinderte Menschen", sagt Rudolf.
Rahmenbedingungen des Lebens in Flüchtlingsunterkünften
Das Institut hat untersucht, wie das Zusammenleben in
Flüchtlingsunterkünften menschenrechtskonform ausgestaltet werden
kann. Rund 400.000 Menschen lebten Ende 2016 in
Gemeinschaftsunterkünften. Diese Unterkünfte sind für Geflüchtete
teilweise für mehrere Jahre ihr Zuhause. Dennoch ist oft nicht klar,
unter welchen Umständen der Sicherheitsdienst oder Sozialarbeitende
Privaträume betreten dürfen. Teilweise gibt es pauschale
Übernachtungsverbote auch für Familienangehörige. Das ist das
Ergebnis unserer Auswertung von über 30 Hausordnungen aus
Gemeinschaftsunterkünften, Regelungen aus Ländern und Kommunen sowie
Interviews mit Sozialarbeitenden.
"Fehlende rechtliche Regelungen ermöglichen Willkür und
Machtmissbrauch", stellt Rudolf fest. "Wo es Regelungen gibt, sind
diese nicht immer mit grund- und menschenrechtlichen Standards
vereinbar. Aufgrund des Machtungleichgewichts zwischen Bewohnerschaft
und Personal von Gemeinschaftsunterkünften müssen die
Aufsichtsbehörden zudem für niedrigschwellige unabhängige
Beschwerdemöglichkeiten sorgen", so Rudolf.
Kinder von Inhaftierten
Der dritte Teil des Berichts befasst sich mit dem Recht des Kindes
auf Kontakt mit seinem inhaftierten Elternteil. Diese Kinder haben
Studien zufolge ein höheres Risiko, psychisch zu erkranken, und sie
leiden massiv unter den sozialen Folgen ihrer Lebenssituation.
Amtliche Zahlen, wie viele Kinder betroffen sind, gibt es nicht.
Schätzungen sprechen von bis zu 100.000 Kindern in Deutschland. "Das
Recht aller Kinder auf unmittelbaren Kontakt und eine enge
persönliche Beziehung zu beiden Elternteilen ist in der
UN-Kinderrechtskonvention verankert und vom Bundesverfassungsgericht
anerkannt", sagt Rudolf.
Das Institut hat die Regelungen in den Bundesländern untersucht
und die Praxis abgefragt. "Unsere Analyse zeigt, dass die
Möglichkeiten für Kinder, ihre inhaftierten Eltern zu besuchen,
deutschlandweit sehr unterschiedlich sind. Die Strafvollzugsgesetze
sehen zwischen einer Stunde und vier Stunden Mindestbesuchszeit im
Monat vor. Die Besuche werden vorrangig als Recht des inhaftierten
Elternteils behandelt, aber nicht an den Bedürfnissen der Kinder
ausgerichtet", fasst Rudolf die Ergebnisse zusammen. "Die
Besuchsräume und Abläufe müssen kindgerecht ausgestaltet werden. Der
Staat muss den negativen psychischen und sozialen Auswirkungen der
Haft eines Elternteils auf das Kind durch Angebote der Kinder- und
Jugendhilfe aktiv entgegenwirken."
Weitere Informationen
Entwicklung der Menschenrechtssituation in Deutschland 2016/2017
Bericht an den Deutschen Bundestag gemäß § 2 Absatz 5 DIMRG
http://ots.de/ms1iG
Das Deutsche Institut für Menschenrechte ist die unabhängige
Nationale Menschenrechtsinstitution Deutschlands (§ 1 DIMR-Gesetz).
Es ist gemäß den Pariser Prinzipien der Vereinten Nationen
akkreditiert (A-Status). Zu den Aufgaben des Instituts gehören
Politikberatung, Menschenrechtsbildung, Information und
Dokumentation, anwendungsorientierte Forschung zu menschenrechtlichen
Themen sowie die Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen.
Es wird vom Deutschen Bundestag finanziert. Das Institut ist zudem
mit dem Monitoring der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention
und der UN-Kinderrechtskonvention betraut worden und hat hierfür
entsprechende Monitoring-Stellen eingerichtet.
Das Gesetz über die Rechtsstellung und Aufgaben des Deutschen
Instituts für Menschenrechte von 2015 sieht vor, dass das Institut
dem Deutschen Bundestag jährlich einen Bericht über die
Menschenrechtssituation in Deutschland vorlegt.
Pressekontakt:
Bettina Hildebrand, Pressesprecherin
Tel.: 030 259 359-13
Mobil: 0160 966 500 83
E-Mail: hildebrand@institut-fuer-menschenrechte.de
Twitter: @DIMR_Berlin
Original-Content von: Deutsches Institut für Menschenrechte, übermittelt durch news aktuell
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