BERLINER MORGENPOST: Ein Plan, keine Vision - Kommentar zum Ergebnis der Sondierungsgespräche zur großen Koalition
Geschrieben am 12-01-2018 |
Berlin (ots) - Die Einigung zwischen Union und SPD hat
Schlagseite. Große Kreativität gibt es beim Geldverteilen und
verbesserten sozialen Leistungen. Einiges davon ist sicher
wünschenswert. Aber die Vision für die großen Zukunftsfragen ist
ausgeblieben. Der Sondierungskompromiss liest sich eher wie ein
Ehevertrag von Brautleuten, die möglichst viel Zugeständnisse für den
Tag der Scheidung herausverhandelt haben. Der große Wurf mit einer
Liebeserklärung an die Zukunft sieht anders aus. Besonders die
Ergebnisse bei den Zukunftsfeldern Bildung und Digitales sind
enttäuschend, da hätte Europas wichtigste Industrienation mehr
Fantasie verdient. Vielleicht bringen die Großkoalitionäre ja noch
die Kraft auf, in den finalen Verhandlungen die fehlende Vision zu
entwickeln. Das Land wartet darauf.
Hier der ganze Kommentar:
Es waren 111 Tage. So lange hat SPD-Chef Martin Schulz gebraucht,
um die sportlichste Wende hinzukriegen, die wir in der Politik seit
Langem gesehen haben. "Mit dem heutigen Abend endet zugleich unsere
Zusammenarbeit mit der CDU und der CSU in der großen Koalition" hatte
er in der Nacht der verlorenen Bundestagswahl gesagt. Gestern früh,
nach 24 Stunden Verhandlungsmarathon sprach er - sichtbar widerwillig
den Satz: "Ich glaube, dass wir hervorragende Ergebnisse erzielt
haben." "Große Koalition" kam ihm dabei nicht über die Lippen.
Dennoch ist die erfolgreiche Sondierung zwischen Union und SPD eine
gute Nachricht für das Land. Schließlich steuern die Spitzenpolitiker
der nicht mehr ganz so großen Volksparteien endlich entschlossen auf
eine Regierungsbildung zu. Es gibt aber auch eine schlechte Nachricht
und die lautet: Es ist noch längst nicht ausgemacht, dass diese am
Ende auch klappt. Das Ergebnis mit dem die SPD aus der Sondierung
kam, hat jedenfalls wenig zu tun mit den vollmundigen Forderungen,
die zum Auftakt der Verhandlungen formuliert wurden. Höhere Steuern
für Reiche! Weg mit Privatversicherungen! Bürgerversicherung für
alle! Keine Grenze für den Flüchtlingsnachzug! Nichts davon hat die
SPD durchsetzen können. "Bätschi" hieß es bei all diesen Punkten am
Ende bei der Union, und jetzt muss Martin Schulz mit einem völlig
anderen Ergebnis vor die Partei treten und um Zustimmung betteln.
Nach dem historisch schlechten Wahlergebnis und dem Absturz in den
Beliebtheitswerten wird ein hauchdünnes Ergebnis zum politischen
Überleben nicht reichen. Einmal mehr zeigt sich in der Politik, wie
unklug solche Festlegungen sind und wie gefährlich sie Spielräume
verengen können. Aber auch wenn Martin Schulz am 21. Januar den
Parteitag hinter sich bringt, liegt in der Parteibasis diesmal das
größte Restrisiko. Der Mitgliederentscheid muss nach weiteren
Koalitionsverhandlungen die Verrenkungen der Parteispitze absegnen.
Völlig unklar, wer wem dabei am Ende - um im Nahles-Jargon zu bleiben
- "auf die Fresse gibt". Bei Sigmar Gabriel, der 2014 alles auf eine
Karte setzte, hat das geklappt. Der Schulz-Vorgänger hatte mit dem
Mindestlohn aber ein echtes Ass im Ärmel. Ob die Wiedereinführung der
paritätischen Beitragssatzfinanzierung den gleichen Effekt hat, ist
fraglich. Die SPD-Linke hat gestern schon den Soundtrack für die
kritische Basis geliefert. "Beschämend", "zu wenig" sind dabei die
Stichworte. Bei den einfachen Mitgliedern, die sich weder um Mandate
noch Dienstwagen sorgen müssen, kann die Bewertung sogar noch
deftiger ausfallen. Martin Schulz bleibt also bis zum
Mitgliederentscheid ein Vorsitzender auf Abruf. Das weiß er und wird
entsprechend um die Deutungshoheit des Sondierungsergebnisses
kämpfen. Die Einigung zwischen Union und SPD hat Schlagseite. Große
Kreativität gibt es beim Geldverteilen und verbesserten sozialen
Leistungen. Einiges davon ist sicher wünschenswert. Aber die Vision
für die großen Zukunftsfragen ist ausgeblieben. Der
Sondierungskompromiss liest sich eher wie ein Ehevertrag von
Brautleuten, die möglichst viel Zugeständnisse für den Tag der
Scheidung herausverhandelt haben. Der große Wurf mit einer
Liebeserklärung an die Zukunft sieht anders aus. Besonders die
Ergebnisse bei den Zukunftsfeldern Bildung und Digitales sind
enttäuschend, da hätte Europas wichtigste Industrienation mehr
Fantasie verdient. Vielleicht bringen die Großkoalitionäre ja noch
die Kraft auf, in den finalen Verhandlungen die fehlende Vision zu
entwickeln. Das Land wartet darauf.
Pressekontakt:
BERLINER MORGENPOST
Telefon: 030/887277 - 878
bmcvd@morgenpost.de
Original-Content von: BERLINER MORGENPOST, übermittelt durch news aktuell
Kontaktinformationen:
Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.
Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.
Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.
http://www.bankkaufmann.com/topics.html
Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.
@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf
E-Mail: media(at)at-symbol.de
621603
weitere Artikel:
- rbb exklusiv: Cottbus: Security-Branche von Rechtsextremen unterwandert? Berlin/Cottbus (ots) - Ein nicht unerheblicher Teil der
Sicherheitsunternehmen in der Stadt Cottbus ist rechtsextrem
unterwandert.
Das ist das Ergebnis einer aufwendigen rbb-Recherche. Auf der
einen Seite haben stadtbekannte Neonazis mit Verbindungen zur
Kampfsport-Szene Security-Firmen gegründet. Auf der anderen Seite
sind es ehemalige Hells Angels-Rocker, die ein undurchsichtiges
Geflecht von Unternehmen führen. Wie die Stadt diese Wachdienste
überprüft, bleibt unklar. Auf zahlreiche Anfragen des rbb zum Thema
hat sie gar mehr...
- Berliner Zeitung: Kommentar zur großen Koalition. Von Jochen Arntz Berlin (ots) - Wenn Union und Sozialdemokratie nun doch gemeinsam
regieren wollen - und die SPD-Basis das erlaubt -, dann hat nur gut
ein Drittel der in Deutschland lebenden Menschen sie mit der
Regierungsbildung beauftragt. Das ist keine Mehrheit der Bevölkerung,
aber eine relative Mehrheit der Wähler. ... Rund 17 Millionen Wähler
haben Union und Sozialdemokraten keinen Regierungsauftrag gegeben.
Das ist eine große Gruppe in der Bundesrepublik, die andere
Vorstellungen von Deutschlands Zukunft hat ... Der nächsten Regierung
wird mehr...
- NRZ: Dann lieber eine Minderheitsregierung - von MANFRED LACHNIET Essen (ots) - Waren Sie auch so ernüchtert, als gestern die
Einigungen von CDU und SPD erklärt wurden? Ein bisschen Erleichterung
bei der Krankenkasse, ein bisschen Obergrenze, ein bisschen mehr für
Europa, etwas mehr Rentengerechtigkeit, ein wenig mehr für die
Bildung. Alles schön und gut und richtig - aber ein großer Wurf sieht
doch wohl ganz anders aus. Dieses Ergebnis lässt keine Begeisterung
aufkommen. Dafür hätte man nicht so lange verhandeln müssen. Die
Menschen im Land erwarten einfach mehr Kreativität und Elan. Vor
allem mehr...
- Stuttgarter Nachrichten: Kommentar zum Ergebnis der Sondierungen Stuttgart (ots) - Anders als in der Union will sich in der SPD
selbst unter den zähneknirschenden Befürwortern einer neuen Groko
keine Erleichterung einstellen, Deutschland endlich wieder eine
handlungsfähige Regierung zu bescheren. Denn abseits aller
Kompromisse riecht diese große Koalition schon vor Beginn ziemlich
ranzig, bleibt ohne Aufbruch und Vision. Aber die gelungene
Sondierung zeugt von Realitätssinn und verspricht finanzielles
Augenmaß. Angela Merkel kann, anders als Schulz, gelassen
abwarten, was nun passiert. mehr...
- BERLINER MORGENPOST: Peinliches Papier - Kommentar über den stagnierenden Wohnungsbau in Berlin Berlin (ots) - Kurz:
Richtig wäre es, den Berlinern ehrlich zu sagen, dass es eben
nicht nur fünf, sondern eher zehn Jahre oder sogar noch länger
dauert, bis überhaupt die ersten Bagger anrollen. Und dass auch die
verabredete umfangreiche Bürgerbeteiligung einige dieser Jahre zu
verantworten hat. Angezeigt wäre es ferner, wenn die Senatorin,
wohlwissend, dass die Entwicklungsgebiete kurz- bis mittelfristig
keinen wesentlichen Beitrag zur Lösung des Baulandproblems bieten
können, die innerstädtische Nachverdichtung und den
Dachgeschossausbau mehr...
|
|
|
Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten
Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:
LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre
durchschnittliche Punktzahl: 0 Stimmen: 0
|