Schwäbische Zeitung: Das Wichtigste im Blick - Leitartikel zu Sondierungen
Geschrieben am 12-01-2018 |
Ravensburg (ots) - Es gibt sie noch, die guten Überraschungen. Die
Sondierer haben sich 24 Stunden lang gequält, die Kanzlerin hat
länger verhandelt als über das Minsker Friedensabkommen, und das
Ergebnis ist überzeugend. Die größten Chancen einer neuen großen
Koalition werden beherzt genutzt: Mehr Gerechtigkeit, mehr
Investitionen und Schnelligkeit bei der Gestaltung der Zukunft und
der Sicherheit, vor allem aber ein neuer Anlauf für Europa.
Auch die letzte große Koalition hat Deutschland nicht schlecht
regiert. Doch die Parteien haben Federn gelassen, sie hatten sich
untereinander keine Erfolge zugestanden und kamen gemeinsam nicht als
geschlossene und gute Regierung rüber, vor allem nicht als eine
Regierung mit klaren Zielen.
Das könnte sich jetzt ändern. Die Botschaft der Wähler wurde
verstanden. Das Sondierungspapier enthält Versprechen für Familien
und für eine sicherere Rente, für den Wohnungsbau, mehr Arbeitsplätze
und eine gute Pflege. Es stellt leichte Entlastungen beim Soli in
Aussicht, auch wenn man sich mehr hätte vorstellen können. Vor allem
aber sieht es Investitionen für den Ausbau der digitalen Entwicklung
vor, sowohl in der Infrastruktur als auch in den Schulen. Wenn das
Kooperationsverbot quasi fällt, wird es den Ländern etwas Macht
nehmen, aber Schüler stärken.
Das wichtigste aber ist der neue Aufbruch für Europa. Denn das
Zeitfenster ist vielleicht nur klein. Mit Frankreichs Präsident
Emmanuel Macron, mit einem leidenschaftlichen Europäer wie Martin
Schulz und einer weniger leidenschaftlichen, aber überzeugten
Europäerin Angela Merkel hat die deutsch-französische Lokomotive
wieder die Chance, Fahrt aufzunehmen. Um gemeinsam jenen Wohlstand
und Frieden, den Europa sichert, zu erhalten. Viele merken es nicht,
wie sehr Deutschland von Europa profitiert. Aber sie würden, so wie
jetzt die Briten, schnell feststellen, wenn es nicht mehr so wäre. Ob
der Spitzensteuersatz hochgesetzt wird oder der Soli zu langsam
abgebaut wird, das sind gegen Europas Zusammenhalt und Stärke
vernachlässigbare Größen.
Pressekontakt:
Schwäbische Zeitung
Redaktion
Telefon: 0751/2955 1500
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