Mittelbayerische Zeitung: Kommentar zu den Bemühungen zum Bürokratieabbau, Autorin: Marianne Sperb
Geschrieben am 28-02-2018 |
Regensburg (ots) - Ein Wirt entfernt auf Geheiß der
Hygienekontrolle geriffelte Fliesen in der Küche: Nährboden für
Keime! Die glatten Kacheln moniert der Arbeitsschutz: Rutschgefahr!
"Ein Wunder, dass noch Zeit zum Kochen bleibt", sagt Spitzenkoch
Vincenz Klink. Unternehmer arbeiten Auflagen statt Aufträge ab. Ärzte
sitzen über Tabellen statt beim Patienten. Landwirte dokumentieren
Düngermengen statt Felder zu bestellen. Architekten füllen ganze
Regale voller Akten, wo früher ein Ordner reichte. Bürokratie bringt
uns um Wachstum und Wohlstand und manchmal an den Rand des Wahnsinns.
In Bayern soll der Beauftragte für Bürokratie-Abbau den Dschungel der
Paragrafen lichten. Aber dass aus der Initiative mehr als ein zartes
Pflänzchen Hoffnung wird, darf man auf Grundlage jahrelanger
Erfahrungen bezweifeln. Bund und Länder starten immer wieder Anläufe,
um das Gestrüpp der Paragrafen zu entbuschen. Die Macheten werden
anfangs stolz präsentiert und bald stumpf beiseite gelegt. 1983 zog
die Bundesvereinfachungskommission ins Feld, 1995 war es der
Sachverständigenrat "Schlanker Staat", später der "Lenkungsausschuss
Verwaltungsorganisation", dann der "Masterplan Bürokratieabbau".
Arbeitsgruppen trafen sich, Stabstellen konferierten - aber die
Ergebnisse blieben mager. Der bundesweite Bürokratiekosten-Index
(BKI) sinkt zwar sehr sachte, von 100 (Januar 2012) auf 98,99 (Januar
2017). Aber der Aufwand für das Umsetzen von Auflagen steigt nach
Angaben der Wirtschaft. Die Last drückt überproportional stark kleine
und mittlere Unternehmen; sie stecken die Leistung von bis zu drei
Monaten im Jahr ins Erfüllen von Vorschriften. Die deutsche
Wirtschaft gibt 45 Milliarden Euro im Jahr aus, um Bundesrecht zu
erfüllen, so das Statistische Bundesamt Ende 2017. Bayern rühmt sich
als Bundesland mit den wenigsten Gesetzen. Die Zahl der
Rechtsverordnungen und Gesetze sank von 2013 bis 2017 um zehn
Prozent. Aber die Effekte sind umstritten. Und Vorschriften sind wie
Unkraut; sie wachsen schnell nach, genährt von Sicherheitsansprüchen
der Bürger und von der Angst vor Haftungsrisiken bei Behörden. Die
Wurzel liegt im System: Bürokratische Unternehmen straft der Markt.
Behörden aber leben von der Bürokratie. Walter Nussel bringt als
Bayerns Deregulierer einige Stärken mit. Als Unternehmer, Landwirt,
Forstwirt und Politiker hat der CSU-Abgeordnete guten Einblick in die
Kampfzone von Einsatzpraxis und Behördentheorie. Als Torpedo der
Staatskanzlei, der sein Büro zugeordnet ist, kann er rasch und
unbefangen agieren. Und er arbeitet unbürokratisch. Sein
MZ-Interview, dass der 52-Jährige kurzfristig einschob, hatte er zwei
Stunden später bereits autorisiert. Nussels Praxis-Check klingt gut,
aber greifbare Ergebnisse fehlen bisher. Vor allem: Der Franke kann
zwar bayerische Gesetze entflechten, ist aber machtlos in Bund und EU
oder bei Bremsklötzen wie der Digitalisierung von Behörden. Immerhin
verbreitet sein Amt den Eindruck, München nehme das Problem wahr.
Nussel gibt der Deregulierung ein Gesicht und einen Namen. Das ist
nicht wenig. Kaum etwas anderes pusht Wut und Staatsverdrossenheit
laut Studien so sehr wie das Gefühl von Ausgeliefertsein.
Feuerwehrmann ist Walter Nussel übrigens auch. Die FFW Wildpoldsried
wird also viel von ihm erwarten. Die Schwaben möchten ihr 35 Jahre
altes Löschfahrzeug ersetzen. Aber die Retter werden wohl noch auf
Jahre ihren Oldie fahren. Der Grund, sagt der Bürgermeister: "Die
Richtlinien für die Zuschüsse sind so kompliziert, dass man es nur
verkehrt machen kann."
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