Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zur GroKo: Hakeliger Neustart von Reinhard Zweigler
Geschrieben am 14-03-2018 |
Regensburg (ots) - Merkel wiedergewählt. Die GroKo installiert.
Also alles beim Alten geblieben? Von wegen. Der Start der neuen
Bundesregierung, des vierten Kabinetts von Angela Merkel, der dritten
schwarz-roten Koalition seit dem Jahr 2005, verlief fast ebenso
hakelig wie die quälenden Wochen und Monate der Verhandlungen zuvor.
Gerade mal neun Stimmen mehr als die erforderliche Kanzlermehrheit
brachte die neue GroKo gestern im Bundestag zusammen. Und dass ein
AfD-Mann seine geheime Wahl öffentlich machte, passt zu den
unwürdigen Begleitumständen der gestrigen Wahl. Dass Angela Merkels
Kanzlerschaft dermaßen am seidenen Faden hing, hatten weder die
Strategen in der Union noch in der SPD erwartet. Doch Mehrheit ist
Mehrheit. Und nun muss die bislang kleinste GroKo den hakeligen Start
und die langen Geburtswehen schnell vergessen machen. Nicht durch ein
Weiter so, sondern durch vernünftige Politik und vor allem mehr Nähe
zu den Bürgerinnen und Bürgern. Von denen haben sich nämlich viele
von der Regierungspolitik abgewandt. Eine erkleckliche Anzahl ist der
Schein-Alternative für Deutschland gefolgt. Nicht etwa, weil Gauland,
Weidel und Co. wirkliche Lösungen für die Sorgen der Menschen und die
Herausforderungen der Zukunft hätten, sondern weil sie das Unbehagen,
den Protest, ja mitunter sogar den Hass, auf "die da oben", auf die
etablierten Parteien in die Parlamente tragen. Die Person Angela
Merkel ist dabei zur Hauptzielscheibe der Angriffe geworden. Der zehn
Jahre umjubelten Kanzlerin schlagen in ihrer letzten Amtszeit Kritik,
sogar unverhohlene Wut und Bedrohung entgegen, wie sie sich das wohl
nicht vorstellen konnte, als sie sich noch einmal für den politischen
Spitzenjob in Deutschland entschieden hat. Die Kanzlerin und
protestantische Christin geht einen schweren Gang. Unterstützt und
getragen wird sie zwar weiterhin von einer Mehrheit der Deutschen,
doch die schweigen vor allem, sind zumindest kaum laut vernehmbar.
Eine Schonfrist für das neue Merkel-Kabinett wird es nicht geben.
Wozu auch? Ministerjobs sind keine Praktikumsplätze. Von den alten,
wie neuen Kabinettsmitgliedern darf man solide Facharbeit erwarten -
und zwar vom ersten Tag an. Wie spiegelglatt das Berliner
Regierungsparkett allerdings tatsächlich ist, hat Jens Spahn, der
neue Gesundheitsminister, bereits vorgeführt. Dass er
Hartz-IV-Empfänger in Deutschland nicht für arm hält, ist natürlich
Unsinn. Allerdings wurde in der aufgeregten Debatte völlig übersehen,
dass der konservative CDU-Mann eigentlich nur ausdrücken wollte, dass
Deutschland ein verlässliches Sozialsystem besitzt. Man kann nur
hoffen, dass sich das wechselseitige politische Unbehagen mit der
jetzigen GroKo nicht weiter in verbalen Scharmützeln über Worte und
Halbsätze entzündet. Es gibt, weiß Gott, Wichtigeres im Land zu
regeln. Das neue Team Merkel ist schon mal eine Mischung aus jüngeren
und nicht mehr ganz so jungen Politikerinnen und Politikern. Es gibt
viele neue Gesichter. Und man darf gespannt sein, wie sich die
Jung-Minister schlagen werden. Als Richtschnur der nächsten
dreieinhalb Regierungsjahre dient dabei der schwarz-rote
Koalitionsvertrag. Der ist zwar einerseits voller schöner
Absichtserklärungen, auf der anderen Seite aber ist er auch so
hinreichend konkret geschrieben, dass man/frau diese Regierung beim
Wort nehmen, ihr auf die Finger schauen kann. Das sollten die Wähler
und Wählerinnen dann aber auch tun. Nachfragen, nachhaken, sich
einmischen, kritisieren, auch protestieren - aber nicht nur
lamentieren. Das Volk, der Souverän. Aber erstmal sollte der
Regierung Merkel 4.0 eine faire Chance gegeben werden.
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