BERLINER MORGENPOST: Die Angriffe stärken Assad / Leitartikel von Martin Gehlen zu Syrien
Geschrieben am 15-04-2018 |
Berlin (ots) - Kurzform: Für Assad war das Ganze erneut ein
machtpolitischer Punktsieg. Denn der bewusst schmal kalibrierte
Raketenbeschuss zeigt, der Westen hat sich längst mit dem Diktator
abgefunden und lässt ihm im Prinzip freie Hand. US-Präsident Donald
Trump will vor allem raus aus dem nahöstlichen Schlamassel und hat
kein Interesse, das Regime in Damaskus aus den Angeln zu heben. Auch
die britische Premierministerin Theresa May versicherte am Wochenende
ihren Landsleuten, der Regierung gehe es in Syrien nicht um einen
Regimewechsel, und London wolle sich nicht in den Bürgerkrieg
einmischen. Insofern beschränkt sich das westliche Augenmerk einzig
und allein auf das Thema Chemiewaffen. Lediglich diese schrecklichen
Untaten werden aus dem übrigen Kriegsgeschehen herausgelöst und mit
Militäraktionen bestraft, alle übrigen Grausamkeiten dagegen wie
bisher mit empörten Fensterreden und ratlosem Achselzucken quittiert.
Der vollständige Leitartikel: Wer die Bilder der qualvoll
erstickten Opfer von Ost-Ghuta noch vor Augen hat, auf den müssen die
jüngsten westlichen Raketenangriffe auf Syrien wirken wie ein
zynisches Gemogel. Trotz einer Woche martialischer Trump-Tweets
beließen es die Alliierten am Ende wieder nur bei symbolischen
Luftschlägen, wenn auch ein paar Marschflugkörper mehr als vor einem
Jahr nach dem Giftgasangriff auf Khan Sheikhoun. Und trotzdem - so
hart es klingt - war das nächtliche Bombardement unter dem Strich ein
Sieg der Vernunft. Der befürchtete Schlagabtausch mit Russland auf
syrischem Boden fand nicht statt, aus dem sich leicht ein
verheerender Weltbrand hätte entwickeln können. Damit einher geht die
Einsicht, dass für den Westen in Syrien nicht mehr viel zu machen
ist. Das Regime in Damaskus hat gesiegt und wird weitgehend die
Bedingungen für die Nachkriegszeit diktieren. Für Amerika und Europa
dagegen ist der Zeitpunkt längst verstrichen, wenn es ihn je gab,
Syriens Tragödie abzukürzen oder in andere Bahnen zu lenken. Und so
zeigen sich Baschar al-Assad und seine Machtclique auch diesmal von
den 105 alliierten Geschossen völlig unbeeindruckt. Keine besonderen
Vorkommnisse, signalisierte demonstrativ ein kurzes Video des
Präsidentenamtes von Sonnabendmorgen, auf dem der Diktator lässig
durch seinen opulenten Palast spazierte. Umgekehrt klingen die
vollmundigen Behauptungen aus Washington, Paris und London, diesmal
seien große Teile des syrischen Giftgasarsenals zerstört worden,
eher realitätsfremd als überzeugend. Das Regime hatte tagelang Zeit,
seine dubiosen Anlagen zu evakuieren und die verblieben- en
Bestände an Nervengift zu verstecken. Für Assad war das Ganze erneut
ein machtpolitischer Punktsieg. Denn der bewusst schmal kalibrierte
Raketenbeschuss zeigt, der Westen hat sich längst mit dem Diktator
abgefunden und lässt ihm im Prinzip freie Hand. US-Präsident Donald
Trump will vor allem raus aus dem nahöstlichen Schlamassel und hat
kein Interesse, das Regime in Damaskus aus den Angeln zu heben. Auch
die britische Premierministerin Theresa May versicherte am Wochenende
ihren Landsleuten, der Regierung gehe es in Syrien nicht um einen
Regimewechsel, und London wolle sich nicht in den Bürgerkrieg
einmischen. Insofern beschränkt sich das westliche Augenmerk einzig
und allein auf das Thema Chemiewaffen. Lediglich diese schrecklichen
Untaten werden aus dem übrigen Kriegsgeschehen herausgelöst und mit
Militäraktionen bestraft, alle übrigen Grausamkeiten dagegen wie
bisher mit empörten Fensterreden und ratlosem Achselzucken quittiert.
Die Machthaber von Damaskus aber können den Feldzug gegen ihre
aufständischen Landsleute bereits in der kommenden Woche ungehindert
fortsetzen - wie gewohnt mit aller Gewalt und ohne jede Skrupel. Nach
Ost-Ghuta wird sich das Regime nun die Nordprovinz Idlib vorknöpfen,
die letzte Hochburg seiner immer schwächer werdenden Gegner.
Iranische Militärs kündigten in den vergangenen Tagen bereits an,
dieses Gebiet an der Grenze zur Türkei müsse nun als nächstes
"befreit" werden. Der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian
ließ am Wochenende keinen Zweifel daran, was in seinen Augen nun auch
diesen Menschen blüht. Und so wird die Weltöffentlichkeit schon bald
wieder das Gleiche miterleben müssen wie in Ost-Ghuta - die nächsten
apokalyptischen Bombenhöllen und die nächsten Massaker durch
Nervengift.
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