Mittelbayerische Zeitung: Hart, aber fair / Joachim Löw hat den Kader für die Weltmeisterschaft in Russland bekanntgegeben. Er geht dabei wieder kompromisslos seinen eigenen Weg - und das ist richtig
Geschrieben am 15-05-2018 |
Regensburg (ots) - Seit 56 Jahren konnte keine
Fußball-Nationalmannschaft den Weltmeistertitel beim nächsten Turnier
erfolgreich verteidigen. Die Brasilianer waren es, die 1962 als
bislang letzte Mannschaft - und nach Italien überhaupt erst als
zweite - zwei Titel direkt aneinanderreihen konnten. 56 Jahre! Eine
unglaublich lange Zeit. Zur Weltmeisterschaftsendrunde in Russland in
diesem Sommer reist nun Deutschland als Titelverteidiger an. Ob das
Team von Bundestrainer Joachim Löw den Doppelpack schafft, weiß
keiner. Eines ist aber sicher: Löw hat mit einer cleveren Auswahl
seiner Spieler beste Voraussetzungen dafür geschaffen. 1994 reiste
Deutschland ebenfalls als Titelverteidiger zu einer
Weltmeisterschaft. Der damalige Bundestrainer Berti Vogts hatte eine
erlesene Star-Truppe um sich geschart. Die Weltmeister von 1990 waren
im Kern noch alle dabei, und mit neuen Top-Leuten wie Stefan
Effenberg oder Matthias Sammer sogar kräftig verstärkt worden.
Dennoch wurde es kein gutes Turnier der deutschen Mannschaft. Ein
paar Spieler waren nicht richtig in Form, ein paar andere stritten
sich mit dem Trainer über die Aufstellung. Am Ende blieb das Team
weit unter seinen Möglichkeiten und schied im Viertelfinale aus.
Joachim Löw wird bei der Zusammenstellung seines Kaders für das
kommende Turnier wohl wenig an die Probleme der deutschen Mannschaft
von 1994 gedacht haben. Er geht ohnehin immer demonstrativ seinen
eigenen Weg - und der ist ein erfolgreicher. Seit Löws Amtsantritt
als Bundestrainer vor mehr als zehn Jahren war bei einer Welt- oder
Europameisterschaft nie vor dem Halbfinale Schluss. Das ist eine
überragende Bilanz. Bei der Mannschaft für Russland vertraut Löw
einem guten Dutzend Spielern, mit denen er seit Jahren erfolgreich
ist. Um die herum hat er aber gnadenlos durchgemischt. Löw hat harte
Entscheidungen getroffen, für diese gibt es aber gute Gründe. So ist
für Weltmeister, die zu lange ihrer Form hinterherliefen, im Konzept
des Bundestrainers kein Platz mehr. Ausgerechnet Vorlagengeber André
Schürrle und Torschütze Mario Götze, also die Spieler, die das
WM-Finale 2014 entschieden, sind deswegen nicht dabei. Auf
Fußball-Romantik nimmt Löw zu Recht keine Rücksicht. Er lebt im Hier
und Jetzt. Er braucht Spieler, die jetzt in guter Form sind - und es
nicht nur einmal waren. Es ist der richtige Weg, allen zu
verdeutlichen, dass eine WM-Nominierung kein Selbstläufer ist.
Allerdings hat Löw auch das Feingefühl, verdiente Helden nicht
kommentarlos auszusortieren. Die Nicht-Nominierung Götzes hat er
ausführlich begründet - mehr kann er nicht tun. Zwei Fragezeichen hat
Löw ohnehin noch in seinem vorläufigen Kader: die noch nicht fitten
Manuel Neuer und Jerome Boateng. Doch egal, ob sie am Ende mitfahren
oder nicht, wird Löw in Russland eine absolute Top-Mannschaft aufs
Feld schicken, zumal es nach dem Titelgewinn vor vier Jahren keinen
wirklichen Umbruch gab. Klar, mit Philipp Lahm und Miroslav Klose
haben zwei absolute Leitwölfe aufgehört, es war aber genug Zeit,
damit sich neue Führungsspieler finden. In vorderster Front wird es
in Russland auf Toni Kroos ankommen. Er wurde bei Real Madrid zum
Superstar und soll - vor allem, wenn es Manuel Neuer nicht zum
Turnier schafft - der absolute Chef der deutschen Mannschaft sein.
Und er muss zeigen, dass er diese Rolle auch unter dem Druck eines
großen Turniers ausfüllen kann. Gemeinsam mit Mats Hummels und Thomas
Müller wird Kroos das Gerüst bilden, um das herum Löw seine -
sicherlich auch immer wieder wechselnden - Formationen bauen wird.
Insbesondere im Mittelfeld und im Angriff hat er dabei eine große
Auswahl an echten Top-Spielern. Und das ist die große Botschaft des
Kaders von Joachim Löw - auch an die Gegner bei der Endrunde. Er kann
Spieler wie Götze und Schürrle und zudem viele andere Weltmeister wie
Christoph Kramer, Benedikt Höwedes oder Shkodran Mustafi zuhause
lassen und hat dennoch immer noch eine Top-Mannschaft.
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