Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zum Fall Susanna: Die Stunde der Ermittler von Reinhard Zweigler
Geschrieben am 08-06-2018 |
Regensburg (ots) - Der Mord an der 14-jährigen Susanna F. zerreißt
einem das Herz. Ihr junges Leben wurde auf grausamste Weise
ausgelöscht. Sie starb qualvoll. Offenbar durch die Hände ihres
Vergewaltigers, der so offenbar seine schlimme Tat vertuschen wollte.
Das Leid und die Trauer der Angehörigen des Mädchens, ihrer Freunde,
Mitschüler, ihrer jüdischen Gemeinde in Mainz sind unermesslich. Die
Anteilnahme von Menschen in ganz Deutschland ist da nur ein schwacher
Trost. Gleichwohl sollten die Hinterbliebenen wissen, sie stehen in
diesen schweren Stunden nicht allein. Und natürlich wühlt diese
schlimme Tat, wie bereits ähnliche Verbrechen zuvor, auch die Politik
auf. Vor allem, weil es sich bei dem mutmaßlichen Täter um einen
Flüchtling aus dem Irak handeln soll. Die Betonung liegt auf
"mutmaßlich", denn noch gibt es keine gesicherten Erkenntnisse der
Ermittler. Es ist jetzt die Stunde von Polizei und
Staatsanwaltschaft, die den Fall akribisch aufklären müssen. Es ist
dagegen nicht die Zeit der groben Vereinfacher, egal, ob sie von der
AfD oder der Bild-Zeitung kommen. Susanna F. hat ihr junges Leben
verloren, aber nicht ihre Würde. Allein das gebietet Zurückhaltung,
keine Verallgemeinerung und erst recht keine Instrumentalisierung
ihres Todes aus durchsichtigem politischen Interesse. Wer dieses
schlimme Verbrechen für Klamauk im Bundestag missbraucht, wie die AfD
gestern, diskreditiert sich selbst. Allerdings wirft der grausame Tod
des Mädchens auch schwerwiegende Fragen auf. Es darf nichts
kleingeredet, nichts relativiert, nichts beschwichtigt werden, etwa
weil es bereits vor dem großen Flüchtlingsansturm nach Deutschland
Vergewaltigungen und Morde gegeben habe. Doch eine Frage ist zum
Beispiel, wieso konnte der mutmaßliche Täter, der offenbar als
Kriegsflüchtling nach Deutschland kam, nach der Tat so einfach
mitsamt der ganzen Familie über Düsseldorf ausreisen? So schlimm kann
es, nach allem, was bisher öffentlich wurde, um das Schutzbedürfnis
des Irakers also nicht bestellt gewesen sein. Und wieso bekommt
jemand, der angibt, keine Papiere zu besitzen, so einfach
Ersatzdokumente, mit denen er über einen eigentlich streng
kontrollierten deutschen Flughafen ausreisen kann? Behörden des
Bundes sagen, dass die Ausreise - oder genauer gesagt die Flucht aus
Deutschland - geschah, bevor der Tatverdächtige zur Fahndung
ausgeschrieben worden sei. Das mag sein. Aber gab es in diesem Fall
nicht nur eine Behördenpanne, sondern womöglich auch Lücken im
Sicherheitssystem? Können auch potenzielle und wirkliche Terroristen,
Gefährder und sonstige Kriminelle aus- und einreisen, wie sie wollen?
Dass das Nürnberger Bamf heillos überfordert war, ist inzwischen
hinlänglich bekannt. Es gibt aber möglicherweise noch weitere Fälle
von Überforderung. Ob strukturell oder "nur" personell, das ist die
Frage. Der entscheidende Hinweis auf den vermutlichen Täter kam
übrigens von einem 13-jährigen Jungen, der ebenfalls in der
Flüchtlingsunterkunft wohnte. Es ist nun den Sicherheitsbehörden im
kurdischen Nordirak zu verdanken, dass der mutmaßliche Mörder von
Susanna F. nach seiner Flucht aus Deutschland so schnell gefasst
werden konnte. Das ist zumindest eine kleine Genugtuung. Der
mutmaßliche Schwerverbrecher konnte nicht völlig abtauchen. Er darf
der Strafe, die er verdient hat und die ihm nach einem
rechtsstaatlichen Verfahren zusteht, nicht entgehen. Und auch wenn es
zwischen dem Irak und Deutschland kein förmliches
Auslieferungsabkommen gibt, sollte es doch möglich sein, dass der
Tatverdächtige an die deutsche Justiz überführt und hier vor Gericht
gestellt wird. Mindestens das ist der deutsche Staat der grausam
getöteten Susanna schuldig.
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Mittelbayerische Zeitung
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