Mittelbayerische Zeitung: Abheben ist Alltag / Das Reisen hat sich verändert. In den Ferienflieger zu steigen, ist für viele normal geworden. Von Christine Straßer
Geschrieben am 03-08-2018 |
Regensburg (ots) - Alle sind jetzt weg. Oder zumindest viele. Die
Schüler sind verschwunden und die Pendler-Ströme ausgedünnt. Selbst
die sonst so vollen Autobahnen rund um Regensburg sind im
Berufsverkehr deutlich leerer. Sommerferienzeit ist Urlaubszeit.
Mallorca platzt aus allen Nähten und in Ägypten wird es an den
Stränden von Hurghada voll. Im August verreisen die Deutschen wie die
Weltmeister. Dieses Aufbrechen bringt die Gesellschaft voran, weil es
den Horizont öffnet. Wer reist, lernt fremde Welten kennen.
Andererseits ist der ursprüngliche Gedanke des Reisens vielen
Urlaubern heute fremd. Das ist kein Aufbruch ins Unbekannte mehr. Das
Chaos auf dem Münchner Flughafen am ersten Ferienwochenende hat
gezeigt, wie selbstverständlich Flugreisen geworden sind. Sie sind
Alltag. Diese Art zu reisen sollte man trotzdem hinterfragen, nicht
nur weil Fliegen so umweltschädlich ist. Eine Sicherheitspanne legte
das Terminal 2 lahm. Tausende Reisende hingen fest, etliche mussten
die Nacht auf Feldbetten verbringen. Eine Gepäckkontrolleurin sagte
später: "Wir haben nur darauf gewartet, dass so etwas passiert." Der
Druck sei zu hoch, die Zeit pro Reisendem zu knapp. Rund 78 Prozent
der Bundesbürger werden dieses Jahr laut Statistik mindestens eine
Urlaubsreise unternehmen, die fünf Tage oder länger dauert. Vom
Münchner Flughafer fliegen täglich etwa 120 000 Passagiere ab. Ein
Fehler bei einer Kontrolle brachte alles zum Erliegen. Dass sich
Reisende in München geärgert haben, ist verständlich. Sie freuten
sich auf Strand und Entspannung. Haben dafür schließlich auch
bezahlt. Schön durchgebräunt und erholt zurückzukommen, das ist das
Ziel. Für eine solche Urlaubsreise in den Flieger zu steigen, gehört
heute dazu. Zumal Fliegen so billig geworden ist. Wer sich günstig
neu einkleiden will, bucht einfach den Billigflieger in die Türkei.
Übers Wochenende nach Barcelona? Nichts ist einfacher als das. Ozeane
sind keine Hürde für die Globetrotter. Umwehte beispielsweise die
Karibikinseln einst ein Hauch von Exotik, sind sie heute ein
Schnäppchen im Angebot der Reiseveranstalter. Im 800 Stundenkilometer
schnellen Flugzeug kommt man zügig, bequem und sicher überall hin. An
Bord gibt es warmes Essen und zur Ablenkung den neuesten
Hollywoodstreifen. Ein Abenteuer ist das nicht. Der Venezianer Marco
Polo war jahrelang unterwegs, ehe er chinesischen Boden betrat. Das
ist mehrere Jahrhunderte her. Sein Reisebericht wird trotzdem noch
heute von Lesern verschlungen. Er ist so spannend, weil der Weg so
mühevoll war. Heute gilt schon eine Passkontrolle als nerviger
Zeitverlust. Das reicht für einen verärgerten Tweet. Worüber könnten
Vielflieger auch sonst schreiben? Was liefert Stoff für mehr als 280
Zeichen? Geschichten über Bonusmeilen und die besten Spartarife der
Autovermieter ergeben eher kein mitreißendes Buch. Am gebanntesten
lauscht man heute denjenigen, die ohne Geld loszogen oder auf dem
Fahrrad die Welt umkurvten. Vor wenigen Jahrzehnten war das
Besteck-Mäppchen, das Papa von einem Flug mitgebracht hatte, etwas
Besonderes. Selbst in der Businessclass gab es für die Passagiere
Messer, Gabel und Löffel aus Stahl. Im Griff war das Zeichen der
Fluggesellschaft eingraviert. Kinder stritten sich, wer das Besteck
beim nächsten Zeltlager mitnehmen durfte und weinten bitterlich, wenn
nach dem Abspülen die Gabel fehlte. Heute wird im Flugzeug das
gleiche Plastikgeschirr gereicht wie an der Imbissbude um die Ecke.
All das bedeutet nicht, dass man sich über ausgefallene Flüge freuen
muss. Aber vielleicht nimmt man schon den Rückflug, der wieder
reibungslos verläuft, als etwas Besonderes wahr. Weil es eben nicht
selbstverständlich ist, dass man sich zwischen Kulturen und
Kontinenten - obendrein so komfortabel - hin und her bewegt. Urlaub
an sich ist nicht selbstverständlich. Für manch andere ist er
unbezahlbar. 39 Prozent der Alleinerziehenden in Deutschland können
sich zum Beispiel gar keine Urlaubsreise mit ihren Kindern leisten.
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