Börsen-Zeitung: Rundungsfehler / Kommentar von Dietegen Müller zur Debatte über den "längsten Bullenmarkt der Geschichte"
Geschrieben am 24-08-2018 |
Frankfurt (ots) - Die Wiederholung macht eine Behauptung nicht
wahrer. Auch nicht der Tweet von US-Präsident Donald Trump, der am
Mittwoch dem "längsten Bullenmarkt in der Geschichte des
Aktienmarktes" und damit der amerikanischen Nation insgesamt
gratuliert hat.
Am Dienstag hatte der US-Aktienmarkt gemessen am S&P 500 im
Tagesverlauf zwar mit 2873,23 Punkten einen Rekord erreicht, der am
Freitag im frühen Handel übertroffen wurde. Doch Rekord hin oder her
- der längste Bullenmarkt der Geschichte ist das noch lange nicht.
Wer Äpfel mit Äpfeln und Birnen mit Birnen vergleicht, stellt
rasch fest, dass der längste Bullenmarkt, basierend auf den
Schlusskursen des S&P 500, vom 4. Dezember 1987 bis zum 24. März 2000
und somit 4494 Tage dauerte. Der laufende Bullenmarkt dauert
einschließlich Freitag erst 3455 Tage, wenn man als seinen Beginn den
Schlusskurs vom 9. März 2009 nimmt. Es fehlen über 1000 Tage oder 34
Monate bis zur längsten Hausse in der Geschichte des S&P 500.
Dass dieser Tage trotzdem vom längsten Bullenmarkt ever die Rede
ist, liegt daran, dass 1990 eine Korrektur im bisher längsten
Aufschwung die US-Benchmark um 19,9% gemessen am Schlussstand
gedrückt hat. Die kaufmännische Rundung macht daraus ein Minus von
20%. Ein Bullenmarkt gilt immer dann als intakt, solange er nicht von
einer Korrektur von 20% oder mehr unterbrochen wird. Die Mär von der
aktuell längsten Hausse geht also von einem - wenn auch korrekt
gerechneten - Rundungsfehler aus. Der damalige Aufschwung hätte dann
erst nach dem Tief vom 11. September 1990 begonnen und 3452 Tage
gedauert. Wer vom aktuell längsten Bullenmarkt spricht, geht auch
davon aus, dass Intraday-Höchst- und Intraday-Tiefstkurse einbezogen
werden. Denn gemessen am Schlusskurs reichte die aktuelle Hausse nur
bis zum 26. Januar 2018, als der S&P 500 den bisher höchsten Endstand
von 2872,87 Punkten erreichte. Am Dienstag wurde nur im Tagesverlauf
ein Rekordhoch erreicht - und ob am Freitag auch mit dem Schlussstand
ein neues Rekordhoch erreicht wurde, war zum Redaktionsschluss noch
nicht bekannt.
Würden statt Schlusskursen grundsätzlich Intraday-Kurse in die
Berechnung einbezogen, sähe der gegenwärtige Bullenmarkt eher jung
aus: Er hätte am 4. Oktober 2011 begonnen. Vom Intraday-Höchst am 2.
Mai 2011 fiel er bis zum Intraday-Tiefst um 21,6%. Auf
Schlusskursbasis hätte das Minus 19,2% betragen.
Auf Intraday-Basis wäre aber auch der Rekord-Bullenmarkt in den
neunziger Jahren unterbrochen worden: Der Absturz von Juli bis
Oktober 1998 durch Russland-Krise und LTCM-Debakel hat auf
Intraday-Basis 22,3% an Wert ausradiert, auf Basis der Schlusskurse
nur 19,3%. Der längste Bullenmarkt hätte dann ab 1990 begonnen und
statt gut zwölf nur rund acht Jahre gedauert (auf Intraday-Basis
betrug das Minus 1990 20,4%).
Diese Haarspalterei zeigt, dass Intraday-Volatilität gerade in
turbulenten Marktphasen erheblich ist und die Kalkulation von
Bullenmarkt-Längen komplett verändert. Zum anderen spiegelt sich in
der Diskussion um die Dauer die Sorge, dass eine Rally, je älter sie
wird, bald enden muss - wie ein Grashalm, der zu lange gebogen wird
und abknickt.
So gesehen lässt sich Entwarnung geben: Auf Basis der Schlusskurse
hat die laufende Rally, die von Technologieaktien dominiert wird
(vgl. Tabelle), noch viel zeitlichen Spielraum. Es gibt sogar
Beobachter, die den Beginn des derzeitigen Bullenmarktes auf 2013
legen - damals glich der S&P 500 seine Verluste seit der Finanzkrise
2007/08 aus. Andererseits sind die Bewertungen hoch, ebenso die
politischen Risiken, und die US-Notenbank fährt die
Liquiditätsversorgung zurück. Im besten Fall dürfte es eine
Fortsetzung der Hausse mit flauem Gefühl im Bauch geben. Das flaue
Gefühl aber dürfte auch exzessive Risiken bremsen und könnte dem
Bullenmarkt Widerstandskraft gegen 20-Prozent-Korrekturen geben. Auf
ein langes Leben!
(Börsen-Zeitung, 25.08.2018)
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