Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zum Rekordüberschuss: Klug investieren von Christine Straßer
Geschrieben am 24-08-2018 |
Regensburg (ots) - Der Minister im Finanzressort mag gewechselt
haben und mit ihm die Partei, die das Ressort innehat, aber das
Leitbild der deutschen Finanzpolitik ist die schwäbische Hausfrau
geblieben - und über allem steht die schwarze Null als unumstrittenes
Ziel. Im ersten Halbjahr 2018 kam die schwarze Null so prall daher,
dass man sie nur noch einen Überschuss nennen kann. Von Januar bis
Juli nahmen Bund, Länder, Gemeinden und Sozialkassen unter dem Strich
48,1 Milliarden Euro mehr ein, als sie ausgaben. Das ist ein Rekord
und wird weithin als Erfolg bewertet. Dabei ist es schlechte Politik.
Denn die schwarze Null ist ein Muster ohne Wert. Es stimmt, dass die
Staatsverschuldung geringer wird. Für sich genommen ist das ein Wert.
Aber die Fixierung auf die schwarze Null hat viele Nachteile, weil
Chancen ausgelassen werden. Das Bild der sparsamen Schwäbin ist
hervorragend geeignet, um Wählerstimmen einzusammeln. Aber es
unterschlägt den fundamentalen Unterschied zwischen einem Privat-und
einem Staatshaushalt im volkswirtschaftlichen Kreislauf. Ein
ausgeglichener Staatshaushalt ist kein finanzpolitischer Selbstzweck.
Die Kunst besteht vielmehr darin, das Geld möglichst so auszugeben,
dass es für heute 12-Jährige eine attraktive Zukunft gibt. Das gilt
es dann möglichst tragbar zu gestalten. Nach Schätzung der deutschen
Wirtschaftsforschungsinstitute reichen die staatlichen Investitionen
derzeit aber gerade einmal, um die verfallende Substanz öffentlicher
Einrichtungen zu ersetzen. Das soll erfolgreiche Politik sein?
Angesichts der Bevölkerungsentwicklung müsse gespart werden, wird
argumentiert. Um spätere Defizite in der Rentenversicherung tragen zu
können, gelte es, heute etwas zurückzulegen. Der Haken: So
funktioniert das nicht. Damit später genug da ist, muss heute
beispielsweise in die Schulbildung der jungen Menschen investiert
werden. Nur so ist es überhaupt denkbar, dass sie später produktiv
genug sind, um die vielen Rentner zu versorgen. Doch im
internationalen Vergleich hinkt Deutschland bei den Bildungsausgaben
hinterher. Die saftigen Zuwächse der Bundesausgaben in diesem und im
kommenden Jahr beruhen abermals auf Ausweitung sozialer Leistungen,
in die sowieso schon mehr als die Hälfte der Bundesmilliarden
fließen. Es ist nicht schwer vorauszusehen, dass es bereits in
absehbarer Zeit auch wieder eine konjunkturelle Krise geben wird.
Dann fehlen Steuereinnahmen, und es steigt der Bedarf,
Arbeitslosengeld und anderes auszuzahlen. Die Ausgaben werden
schneller hochschnellen als die Einnahmen. Das hat nichts mit
finanzpolitischem Schlendrian zu tun. Das Budget wird rein
konjunkturbedingt kippen. Der Überschuss ist vor allem der niedrigen
Zinslage und der guten Konjunktur geschuldet. Er ist nicht
strukturell. Genutzt werden könnte er für gute Kitas, öffentlichen
Nahverkehr, bessere Internetverbindungen und Klimaschutz. Eine der
größten Sorgen vieler Menschen ist, wie ihre pflegebedürftige Eltern
oder sie selbst im Alter behandelt werden. Pflegekräfte fehlen schon
jetzt massenhaft. Daran etwas zu ändern, würde die Lebensqualität von
enorm vielen Menschen verbessern. Aber nach der Logik der
schwäbischen Hausfrau ist nicht genug Geld da für bessere Pflege.
Zugegeben: 48,1 Milliarden Euro werden nicht reichen, um diese
teueren Probleme zu lösen. Aber die Probleme nicht anzugehen, ist
auch keine Lösung. Vollends vergessen wird oft außerdem, dass ohne
Schulden kein Geldvermögen gebildet werden kann. Wenn der Staat
weniger Kredit aufnimmt, fällt ein großer Teil der Nachfrage am
Kapitalmarkt weg, und die Zinsen sinken. Statt nur die Europäische
Zentralbank zu kritisieren, sollten Regierungen in Europa darüber
nachdenken, ob es nicht sinnvoller wäre, das Zinsniveau mit neuen
Schulden, wohlgemerkt für sinnvolle Investitionen, zu stabilisieren.
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