Zwischen Selbstverfügung und Solidarität: Ethikrat debattierte Widerspruchsregelung bei der Organspende
Geschrieben am 13-12-2018 |
Berlin (ots) - Am 28.11.2018 fand im Deutschen Bundestag eine
Orientierungsdebatte darüber statt, ob zukünftig anstelle der
Entscheidungsregelung eine Widerspruchsregelung etabliert werden
soll, um die desolate Lage der Organspende zu verbessern. Sinkende
Spenderzahlen und lange Wartelisten lassen den Ruf nach grundsätzlich
anderen Verfahrensweisen laut werden. Doch welche ethischen
Herausforderungen ergeben sich aus den möglichen Neuregelungen für
Patientinnen und Patienten, Angehörige, medizinisches Personal und
zukünftige Spenderinnen und Spender? Im Rahmen einer öffentlichen
Abendveranstaltung, an der auch etliche Bundestagsabgeordnete
teilnahmen, diskutierte der Deutsche Ethikrat am gestrigen Mittwoch
Pro und Contra der Widerspruchregelung bei der Organspende.
In seinem Grußwort betonte Peter Dabrock, der Vorsitzende des
Deutschen Ethikrates, die Wichtigkeit der aktuellen Debatte,
erinnerte aber auch daran, dass die meisten Kontrahenten ein
gemeinsames Ziel teilen: die Zahl der Organspenden zu erhöhen.
Im Anschluss daran erörterten die Ratsmitglieder Reinhard Merkel
und Wolfram Höfling die unterschiedliche rechtliche Auslegung des
Widerspruchsmodells. Für Reinhard Merkel stellt die Organspende einen
individuellen Akt postmortaler Solidarität mit einem unbekannten
anderen dar. Dazu könne niemand von Gesetzes wegen genötigt werden.
Aber die Nötigung zu einer Erklärung zu Lebzeiten sei in einer
Rechtsordnung, die deutlich gewichtigere zwangsrechtliche Gebote zur
Solidarität kennt, zur Rettung von Menschenleben ohne Weiteres
zulässig und rechtsethisch vernünftig.
Dagegen argumentierte Wolfram Höfling, dass die geläufige
Rechtfertigung eines Widerspruchmodells im Recht der Organgewinnung
verkenne, dass jede Entscheidung zur Organspende eine existenzielle
Entscheidung über das eigene Sterben ist. Die Widerspruchsregelung
beschränke in unzulässiger Weise das Grundrecht auf Leben und
körperliche Unversehrtheit. Höfling schlägt vor, anstatt einer
gesetzlichen Verordnung das deutsche Transplantationssystem als
Ganzes einer an rechtsstaatlichen Maßstäben orientierten Neuordnung
zu unterziehen.
Im zweiten Teil der Debatte diskutierten die Ratsmitglieder
Wolfram Henn und Claudia Wiesemann medizinethische Fragen und die
praktische Umsetzung der Widerspruchsregelung. Für Wolfram Henn
stellt die Widerspruchsregelung mit Vetorecht der Angehörigen im
Zeitalter mündiger Bürgerinnen und Bürger keinen Eingriff in das
Recht auf Selbstbestimmung dar. In der Güterabwägung mit den
Lebenschancen schwer kranker Menschen sei es vielmehr ethisch
geboten, einen Verzicht auf eine Ablehnung als Akzeptanz zu bewerten.
Zugleich betonte Henn, dass es dafür ein Umfeld inhaltlich
ausgewogener Aufklärung und niederschwellig zugänglicher und zugleich
verbindlicher Informationsmöglichkeiten bedarf.
Claudia Wiesemann entgegnete, dass es kein Spendeproblem gebe,
sondern ein Melde- und Organisationsproblem der Krankenhäuser. Die
geplante Einführung der Widerspruchsregelung verorte das Problem
falsch und trage dazu bei, die ethischen Binnenkonflikte in den
Entnahmekrankenhäusern zu verschleiern. Ärztinnen und Ärzte sowie
Pflegende, die sich an der Identifikation potenzieller Spender und
der Organentnahme beteiligen, seien mit moralischen Verpflichtungen
konfrontiert, die einander widersprechen. Diese
organisationsethischen Konflikte müssten anerkannt und gelöst werden.
In der abschließenden, von Ratsmitglied Alena Buyx moderierten und
auch für das Auditorium geöffneten Podiumsdiskussion herrschte trotz
der unterschiedlichen Positionen zur Einführung der
Widerspruchsregelung Einigkeit darüber, dass die strukturellen
Probleme der Organspende dringend gelöst werden müssen. Dazu bedürfe
es einer hinreichenden Aufklärung und aktiven Einbindung der
betroffenen Personen. In seinem Schlusswort appellierte Peter Dabrock
an den Deutschen Bundestag, angesichts des gemeinsamen Ziels nach
tragfähigen Kompromissen zu suchen und in der bereits laufenden
Parlamentsdebatte konkrete politische Lösungen zu finden.
Die Präsentationen und die Dokumentation der Veranstaltung finden
Sie unter: http://ots.de/UYbF4T.
Pressekontakt:
Ulrike Florian
______________________________________
Ulrike Florian
Deutscher Ethikrat
Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Jägerstraße 22/23
D-10117 Berlin
Tel: +49 30 203 70-246
Fax: +49 30 203 70-252
E-Mail: florian@ethikrat.org
URL: www.ethikrat.org
Original-Content von: Deutscher Ethikrat, übermittelt durch news aktuell
Kontaktinformationen:
Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.
Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.
Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.
http://www.bankkaufmann.com/topics.html
Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.
@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf
E-Mail: media(at)at-symbol.de
667306
weitere Artikel:
- Der Tagesspiegel: Bundesanwaltschaft leitet Verfahren gegen Straßburg-Attentäter ein Berlin (ots) - Die Bundesanwaltschaft hat sich in die Ermittlungen
gegen den Straßburg-Attentäter Chérif Chekatt eingeschaltet, der
möglicherweise nach Deutschland geflohen ist. Es sei am Mittwoch ein
Verfahren gegen Chekatt wegen Mordes, versuchten Mordes und
gefährlicher Körperverletzung eingeleitet worden, sagte die
Sprecherin der Behörde am Donnerstag dem Berliner "Tagesspiegel"
(Freitagausgabe).
Die Bundesanwaltschaft habe die Ermittlungen wegen der besonderen
Bedeutung des Falles aufgenommen. Ein weiterer Grund sei, dass mehr...
- Rheinische Post: Kirchen unterstützen Kompromiss zu Paragraf 219a Düsseldorf (ots) - Die Kirchen in Deutschland unterstützen den von
der Bundesregierung vorgelegten Kompromiss zum Werbeverbot für
Schwangerschaftsabbrüche. Die Evangelische Kirche halte es für
richtig, dass Frauen sich umfassend über Abtreibungen informieren
können, sagte der Bevollmächtigte des Rates der EKD, Martin Dutzmann,
der Düsseldorfer "Rheinischen Post" (Freitag). Das könne allerdings
auch durch eine entsprechende Ergänzung des
Schwangerschaftskonfliktgesetzes erreicht werden, sagte er mit Blick
auf den Kompromiss, wonach mehr...
- Meuthen/Boehringer: Noch mehr Haftungs-Milliarden zur Euro-Rettung: Die Bundesregierung muss zurück zum Recht finden Berlin (ots) - Zu Beginn des Europäischen Rates der Staats- und
Regierungschefs in Brüssel stellt der AfD-Parteivorsitzende und
Europaabgeordnete Jörg Meuthen klare Forderungen:
"Wir sind Zeugen eines Zeitlupen-Crashs der europäischen
Staatsfinanzen. Sowohl in Frankreich als auch in Italien treffen
aufgeblähte Staatshaushalte auf Schuldenberge und eine sklerotische
Wirtschaft. Deutschland geht es bei genauer Betrachtung nicht
wesentlich besser. Jederzeit kann eine politische Krise wie etwa die
in Frankreich eine Kettenreaktion mehr...
- Der Tagesspiegel: Ermittler: Weihnachtsmarkt-Attentäter Amri plante auch Sprengstoffanschlag Berlin (ots) - Der Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz, Anis
Amri, hat auch einen Sprengstoffanschlag in Deutschland geplant. Das
geht aus einem Schreiben der Bundesanwaltschaft an das
Bundesjustizministerium hervor, das dem Berliner "Tagesspiegel"
(Ausgabe vom Freitag) vorliegt. Demnach plante Amri die Tat mit einem
Islamisten namens Clément B., der derzeit in Frankreich in Haft sitzt
und gegen den die Bundesanwaltschaft ermittelt. Den Ermittlungen
zufolge sollte dabei TATP zum Einsatz kommen, ein hochexplosiver
Sprengstoff. mehr...
- neues deutschland: Protest gegen aufgeklärten Absolutismus Berlin (ots) - "Die Bewegung der Gelbwesten ist vergleichbar mit
den Massenprotesten in der DDR Ende Oktober 1989, als Zigtausende
aufstanden und riefen: 'Wir sind das Volk!'", urteilt der renommierte
französische Geschichtsprofessor Étienne Francois in einem Interview
mit der in Berlin erscheinenden Tageszeitung "neues deutschland"
(Freitagausgabe). Im Gegensatz zum Mai 1968 in Paris, den er als
Student miterlebte und eine "fröhliche Revolte" nennt, dominiere die
Demonstrationen heute in Frankreich "große Sorge". Gemeinsam sei den mehr...
|
|
|
Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten
Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:
LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre
durchschnittliche Punktzahl: 0 Stimmen: 0
|