Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zu Ukraine/Putin: Eine Kriegserklärung von Ulrich Krökel
Geschrieben am 29-04-2019 |
Regensburg (ots) - Es war abzusehen, dass Wladimir Putin die Wahl
eines Komikers an die ukrainische Staatsspitze nicht ungenutzt
verstreichen lassen würde. Während Wolodymyr Selenskyj noch seinen
Triumph feierte, unterzeichnete der Kremlchef einen Erlass über die
erleichterte Vergabe russischer Pässe an die Bewohner der
ostukrainischen Separatistengebiete Donezk und Luhansk. Wenige Tage
später erklärte Putin nun, diese Praxis auf die gesamte Ukraine
ausweiten zu wollen. Diese Ankündigung ist nichts anderes als die
Erklärung eines erneuerten hybriden Krieges gegen das
krisengeschüttelte Nachbarland. Die planmäßige Vergabe von Pässen an
Bürger anderer Staaten verstößt eklatant gegen das Völkerrecht, in
dem die Personal- und die Gebietshoheit eindeutig geregelt sind.
Putin ignoriert dies und stellt damit die territoriale Integrität der
Ukraine in Frage. Das ist ein offen aggressiver Akt, der ohne
Soldaten und Panzer auskommt. Damit keine Missverständnisse
entstehen: Das Vorgehen des Kremls ist in keiner Weise vergleichbar
mit der Vergabe von Pässen an Doppelstaatler oder Auswanderer. Wenn
etwa eine Britin, die seit Jahren in Deutschland lebt und arbeitet,
in Zeiten des Brexits einen deutschen Pass beantragt und ihn bekommt,
ist das etwas anderes, als wenn die EU beginnen würde, nach dem
Brexit massenhaft europäische Pässe an Briten in Großbritannien
auszugeben, um damit den EU-Austritt zu konterkarieren. Genau das
aber ist es, was Putin seit geraumer Zeit betreibt: Er versucht, den
ukrainischen Exit aus der russischen Einflusszone zu unterlaufen. Wie
weit Putin mit seiner Pass-Offensive in letzter Konsequenz zu gehen
bereit ist, ist noch unklar. Als sicher gelten kann, dass er den
neuen Mann in Kiew austesten will. Nicht auszuschließen ist aber
auch, dass er sofort Fakten schaffen will, wie er es nach der
Maidan-Revolution 2014 getan hat. Es dauerte damals nur drei Wochen,
bis der russische Staat die ukrainische Halbinsel militärisch erobert
und annektiert hatte. Weitere sechs Wochen später war das
Donezk-Becken in der Hand moskautreuer Separatisten. Bei alldem nutzt
der Kreml geschickt die doppelte Lame-Duck-Situation in Kiew aus.
Selenskyj wird erst in einigen Wochen vereidigt und ist bis dahin
faktisch handlungsunfähig, während der abgewählte Petro Poroschenko
erst einmal weiterregiert. Das Sagen in den Sicherheitsbehörden haben
in dieser Übergangszeit die Gefolgsleute des alten Präsidenten, die
Selenskyj schnellstmöglich rauswerfen möchte. So hat er es noch am
Wahlabend angekündigt. Das ist alles andere als eine tragfähige Basis
für eine reibungslose Zusammenarbeit. Weit schlimmer jedoch ist, dass
der Komiker Selenskyj offensichtlich genau so überfordert mit dem
höchsten Staatsamt ist, wie es seine Kritiker prophezeit haben. Seine
erste Reaktion auf die Putin-Offensive zeigte dies überdeutlich.
Statt seine Seriosität zu unterstreichen und auf die Einhaltung des
Völkerrechts zu pochen, kündigte er an, demnächst ukrainische Pässe
an russische Staatsbürger ausgeben zu lassen. Er zeigte damit, dass
er das Problem nicht einmal verstanden hat. Das lässt Übles ahnen. In
dieser Lage wäre es dringend geboten, dass die EU und möglichst auch
die USA unmissverständliche Signale an Putin senden. Es wird sie aber
kaum geben, denn die westliche Staatengemeinschaft ist in Zeiten
eines irrlichternden US-Präsidenten Donald Trump und des
Brexit-Wahnsinns kaum weniger unorganisiert als die ukrainische
Politik. Der EU-weite Wahlkampf kommt hinzu. Bis eine neue,
hoffentlich handlungsfähige EU-Kommission ihre Arbeit in Brüssel
aufnehmen kann, wird noch ein halbes Jahr ins Land gehen. Putins
Zeitfenster steht weit offen.
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