Allg. Zeitung Mainz: Nicht so verzagt / Leitartikel von Friedrich Roeingh zur Europawahl am 26. Mai
Geschrieben am 17-05-2019 |
Mainz (ots) - Mann, sind wir undankbar. Mann sind wir vergesslich.
Mann sind wir verantwortungslos. Undankbar, weil wir aus den Augen
verloren haben, was uns der europäische Binnenmarkt an Wohlstand
gebracht hat. Vergesslich, weil uns die Erzählung vom
friedensstiftenden Europa als Lehre aus zwei Weltkriegen historisch
entrückt vorkommt. Verantwortungslos, weil wir nicht begreifen
wollen, welcher Gefahr wir ausgesetzt sind, wenn sich die
Rechtspopulisten anschicken, Europa vor sich herzutreiben. Mit einem
schlechten Gewissen und mit Panikmache wollen uns die integrativ
gesinnten Demokraten an die Wahlurne treiben. Pädagogik und Belehrung
aber lösen in der politischen Kommunikation bekanntlich eher
Trotzreaktionen als Einsichten aus. In Zeiten schwindender
Parteienbindung wollen die Wähler vielmehr davon überzeugt werden,
sich zum Urnengang aufzuraffen. Wer nach Polen, Ungarn und Italien
schaut, weiß, dass es keinen Anlass zur Marginalisierung der Gefahr
von rechts gibt. Und doch spielt das Geraune von der Schicksalswahl,
spielt ein Wahlkampf der Angst den Radikalen eher noch in die Karten.
Weil es ihre tatsächlichen Wahlaussichten überhöht. Weil es ihre
Fähigkeiten überschätzt, Nationalismus und Chauvinismus zu
europäisieren. Und weil Angstmache grundsätzlich eher Starre als
Ermutigung auslöst. Zudem machen sich die Mitglieder dieser
Einheitsfront der Katastrophenverhinderer mit ihrem Pathos kaum noch
voneinander unterscheidbar. Die Populisten, die sich schon in ihrer
Opferrolle so wohl fühlen, können sich nun auch noch zur einzigen
Opposition in einem politischen Europa aufspielen, das eine
parlamentarische Opposition im klassischen Sinne gar nicht kennt.
Mehr Pragmatismus also bitte und weniger Beschwörung oder
Idealisierung. Erklärt uns bitte vor allem, wofür wir zur Europawahl
gehen sollen und nicht wogegen. Zum Beispiel für ein Europa, das
Google, Facebook und Amazon nicht nur besteuern will, sondern auch
bereit ist, ihre Datenmonopole zu brechen. Für ein Europa, das gegen
China den industriepolitischen Wettlauf um die künstliche Intelligenz
aufnimmt. Für ein wehrhafteres Europa, das die Sicherheitsinteressen
seiner osteuropäischen Frontstaaten ernst nimmt. Für ein sozialeres
Europa, das sich nicht länger mit der zersetzenden
Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa abfindet. Für ein
klimafreundliches Europa, das endlich auf dem gesamten Kontinent die
irrwitzige Kerosin-Subventionierung aufhebt. Für ein Europa, das
sogenannte Steuerparadiese so wirkungsvoll wie möglich austrocknet.
Für ein Europa also, das sich wieder bewusst wird, in der
vermeintlichen Zange zwischen gewissenlosen und autoritären
Ultrakapitalisten eigene Maßstäbe setzen zu können. Wer solche Ziele
vorgibt, kann seine Zuversicht auch darauf gründen, dass sich Europa
in den Krisen der vergangenen Jahre in Wahrheit widerstandsfähiger
gezeigt hat als wahrgenommen. Die Geschlossenheit, mit der sich die
EU den Erpressungsversuchen der scheidenden Briten widersetzt hat,
war jedenfalls ein Zeichen der Stärke. Die europäische
Datenschutzverordnung ist der erste Hinweis darauf, dass sich die EU
nicht dem Diktat der Netzmonopolisten beugen muss und dass sie ein
Gegenmodell zum chinesischen Modell der totalen Überwachung entwerfen
kann. Europa braucht endlich mehr Mut, einen Ordnungsrahmen für die
großen Zukunftsfragen zu schaffen. Es braucht mehr Mut,
Überregulierungen im Kleinen zurückzunehmen. Und es braucht auch den
erkennbaren Mut, sich wieder stärker zu den nationalstaatlichen
Identitäten seiner Mitgliedsländer zu bekennen. Auch dieses Mal
werden nämlich Europas Kleinbürger, und nicht etwa Europas
Kosmopoliten die Wahlen zum Europäischen Parlament entscheiden.
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