Referentenentwurf: Geheimdienste sollen deutsche Medien hacken dürfen
Geschrieben am 29-05-2019 |
Berlin (ots) - Reporter ohne Grenzen (ROG) warnt vor Plänen des
Bundesinnenministeriums, wonach deutsche Geheimdienste Medien im In-
und Ausland künftig digital ausspionieren könnten. Einem
Referentenentwurf zufolge sollen deutsche Inlands- und
Auslandsgeheimdienste Server, Computer und Smartphones von Verlagen,
Rundfunksendern sowie freiberuflichen Journalistinnen und
Journalisten hacken dürfen. Sie sollen dabei verschlüsselte
Kommunikation abfangen oder verdeckt nach digitalen Daten suchen
können. Damit würde eine der Säulen der Pressefreiheit in
Deutschland, das Redaktionsgeheimnis, fallen: Während es verboten
bliebe, mit einer Redaktionsdurchsuchung die Identität
journalistischer Quellen zu erlangen, könnte dies mit einer
Online-Durchsuchung digital umgangen werden. Erschwerend kommt hinzu,
dass laut Entwurf das Innenministerium das Trennungsgebot zwischen
Geheimdiensten und Polizei deutlich aufweichen will, sodass die
Strafverfolgung von Medienschaffenden erleichtert würde.
"Mit den Plänen schießt das Innenministerium deutlich über das
Ziel hinaus: Mit der Abschaffung des Redaktionsgeheimnisses würden
Medienschaffende und ihre Quellen die Grundlage für eine
vertrauensvolle Zusammenarbeit verlieren", sagt ROG-Geschäftsführer
Christian Mihr. Immer wieder werden Fälle bekannt, dass deutsche
Geheimdienste journalistische Arbeit in Deutschland und anderen
Ländern illegitim bespitzelt haben. "Als Reaktion auf diese
Überwachungsskandale müsste die Politik die Rechte von
Journalistinnen und Journalisten eigentlich stärken. Stattdessen
sollen diese Rechte nun digital ausgehöhlt werden - und das ohne
Angabe von Gründen. Bundesinnenminister Horst Seehofer muss die Pläne
seines Ministeriums unverzüglich stoppen."
GROSSE KOALITION MUSS REFERENTENENTWURF GRUNDSÄTZLICH ÜBERARBEITEN
Hintergrund ist ein Referentenentwurf des Bundesinnenministeriums
für ein "Gesetz zur Harmonisierung des Verfassungsschutzrechts".
Reporter ohne Grenzen hat eine ausführliche Stellungnahme zu allen
Kritikpunkten inklusive Vorschlägen zur Verbesserung erstellt
(https://ogy.de/thzf). In einer konsolidierten Version der drei
maßgeblichen Geheimdienstgesetze mit allen geplanten Änderungen
(https://ogy.de/t7tj) können die BMI-Pläne detailliert analysiert
werden. Grundlage ist ein Leak des Referentenentwurfs bei
netzpolitik.org (https://ogy.de/o7vk).
Jüngsten Medienberichten zufolge sind die Pläne innerhalb der
Großen Koalition hoch umstritten und werden derzeit vom SPD-geführten
Bundesjustizministerium blockiert (https://ogy.de/m0p8).
MIT TROJANERN SOLLEN GEHEIMDIENSTE AN SENSIBLE UNTERLAGEN GELANGEN
Bei der sogenannten Online-Durchsuchung dringen
Ermittlungsbehörden verdeckt in digitale Geräte ein, um sie umfassend
zu durchleuchten. Dazu können sie zum Beispiel einen Trojaner auf den
Computer aufspielen, um alle auf der Festplatte gespeicherten
Informationen zu durchsuchen. Im Falle von Journalistinnen und
Journalisten können sie damit gespeicherte Dokumente,
Interviewmitschnitte oder auch gespeicherte Browser-Verläufe von
Internetrecherchen durchsehen. Die Maßnahme ist umstritten, 2017
jedoch bereits im Strafverfahren eingeführt worden. Bei Medien ist
dies jedoch explizit verboten worden, um das Redaktionsgeheimnis auch
digital zu wahren (https://ogy.de/ko4e).
Den Plänen des Innenministeriums zufolge soll dies ausgerechnet
bei den ohnehin schwächer kontrollierten Geheimdiensten anders
werden: Die Verfassungsschutzämter auf Bundes- und Landesebene sowie
der Bundesnachrichtendienst müssen nicht mehr prinzipiell Halt machen
vor den Geräten von Journalistinnen und Journalisten. Stattdessen
sollen Hacks auch bei ihnen in jedem Einzelfall geprüft werden - und
würden erlaubt, wenn die Geheimdienste ihr Interesse an den gehackten
Informationen als wichtiger einschätzen als ein möglicher Schaden für
die Pressefreiheit. Besonders gering sind die Hürden für den
Bundesnachrichtendienst, der ausländische Medien digital angreifen
können soll, um die "Handlungsfähigkeit Deutschlands" zu
gewährleisten. Es wäre also beispielsweise erlaubt, die Server der
Washington Post zu hacken, wenn dies im außenpolitischen Interesse
läge.
ABFRAGE VON DATEN ÜBER RECHERCHEREISEN
Die Online-Durchsuchung ist dabei nur die Spitze des Eisbergs. Der
Referentenentwurf listet eine Reihe weiterer Maßnahmen auf, mit denen
Geheimdienste journalistische Arbeit bespitzeln dürften: So sollen
sie verschlüsselte Kommunikation zwischen Medienschaffenden und
Quellen überwachen dürfen und Buchungsdaten von Recherchereisen
mittels Bahn oder Mietwagen abfragen können.
Hinzu kommt, dass das historische Trennungsgebot zwischen
Strafverfolgung und Geheimdiensten aufgeweicht werden soll, indem zum
Beispiel Polizeien und die Inlandsgeheimdienste dauerhaft gemeinsame
Datenbanken aufbauen können. Damit können Strafverfolgerinnen und
Strafverfolger Informationen über Medienschaffende erhalten, die
eigentlich nur Geheimdienste verwerten dürfen - und umgekehrt. Dieser
Informationsaustausch soll auch internationalisiert werden: Deutsche
Geheimdienste sollen Daten über Medienschaffende in internationale
Datenbanken einpflegen können, woran dann wiederum ausländische
Geheimdienste teilnehmen. Damit könnten ausländische Staaten zum
Beispiel an Daten über im deutschen Exil arbeitende Journalistinnen
und Journalisten gelangen.
Die demokratische Kontrolle des Bundesnachrichtendienstes ist seit
Jahren ein Schwerpunktthema von Reporter ohne Grenzen. Der
internationale Datenaustausch ist auch Gegenstand einer
Verfassungsbeschwerde gegen das neue BND-Gesetz, welche ROG als Teil
eines zivilgesellschaftlichen Bündnisses eingereicht hat
(https://ogy.de/ssqh). Mit einem Urteil wird im Laufe dieses Jahres
gerechnet (https://ogy.de/jlxk).
MEHR ÜBERWACHUNG, WENIGER KONTROLLE
Die Ausweitung der Befugnisse ist umso erstaunlicher, weil es in
den vergangenen Jahren eine Reihe von Überwachungsskandalen gegeben
hat. So wurde Journalistinnen und Journalisten auf dem G20-Gipfel in
Hamburg 2017 die Akkreditierung entzogen, weil in Datenbanken falsche
Daten über sie gespeichert waren und die Inlandsgeheimdienste falsche
Sicherheitseinschätzungen abgaben (https://ogy.de/z6jb). Eine Prüfung
des baden-württembergischen Datenschutzbeauftragten stellte
systematische Mängel fest und sah gesetzgeberischen Handlungsbedarf
(https://ogy.de/7kna). Hierzu finden sich im Referentenentwurf jedoch
überhaupt keine Verbesserungen.
Auch die Auskunftspflichten der Geheimdienste sollen nicht
verstärkt werden: In einer Vielzahl von Fällen müssen sie nicht
preisgeben, ob sie Medienschaffende überwachen oder nicht. Fälle wie
der der Hamburger Journalistin Marily Stroux, die jahrzehntelang vom
Hamburger Verfassungsschutz beschattet wurde und nie das gesamte
Ausmaß der Überwachung erfuhr, bleiben damit möglich. Reporter ohne
Grenzen fordert, dass Medienschaffende verstärkte
Informationsbefugnisse gegenüber Geheimdiensten erhalten, weil sie
einerseits rasch ins Blickfeld der Sicherheitsbehörden gelangen, eine
Beschattung sich andererseits aber besonders negativ auf das eigene
Verhalten und das Vertrauensverhältnis mit Quellen auswirkt.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Deutschland auf Platz
13 von 180 Staaten. Weitere Informationen über die Lage der
Pressefreiheit im Land finden Sie unter
www.reporter-ohne-grenzen.de/deutschland.
WEITERFÜHRENDE INFORMATIONEN:
- Stellungnahme von Reporter ohne Grenzen zur geplanten Änderung
des Bundesverfassungsschutzgesetzes, des BND-Gesetzes sowie des
Artikel 10-Gesetzes: https://ogy.de/thzf
- Konsolidierte Fassung des BVerfSchG, des BNDG sowie G10
(erstellt von ROG): https://ogy.de/t7tj
Pressekontakt:
Reporter ohne Grenzen
presse@reporter-ohne-grenzen.de
www.reporter-ohne-grenzen.de/presse
T: +49 (0)30 609 895 33-55
F: +49 (0)30 202 15 10-29
Original-Content von: Reporter ohne Grenzen e.V., übermittelt durch news aktuell
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