Mittelbayerische Zeitung: Trump überschreitet eine Grenze / Washington bereitet Massendeportationen von Einwanderern vor, die oft seit Jahrzehnten im Land leben. Dieses Vorgehen bedeutet eine Zäsur. V
Geschrieben am 11-07-2019 |
Regensburg (ots) - Die Angst geht um in den Latino-Nachbarschaften
der großen amerikanischen Städte. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich
dort die Nachricht, dass die Einwanderungspolizei ICE am kommenden
Sonntag beginnen wird, gegen die ersten der insgesamt elf Millionen
"Undokumentierten" vorzugehen. Trumps Ober-Einwanderungsbeauftragter
Ken Cuccinelli bestätigte jetzt, in einer ersten Welle sollten bis zu
eine Million Menschen deportiert werden. Ob die US-Behörden überhaupt
das Personal haben, eine Operation in dieser Größenordnung
durchzuführen, wird von Experten zwar bezweifelt. Gewiss aber übt das
Vorgehen der Regierung psychologischen Terror unter den Betroffenen
aus, die gut integriert sind und oft seit vielen Jahren in den USA
leben. Einwanderer ohne Papiere arbeiten in den Gärten, Haushalten
und Küchen, erledigen die anstrengenden Jobs in den Schlachthäusern,
Plantagen und Feldern oder pflegen die Alten und Kranken. Ohne deren
Arbeit geht in vielen Dienstleistungsbereichen nichts mehr, weil sich
niemand für diese Jobs findet. Schon gar nicht unter Trumps
Anhängern, die nicht im Traum daran denken, diese Arbeiten zu machen.
Nirgendwo ist das Anspruchsdenken stärker verbreitet, als unter
Amerikas Rechtspopulisten. Mit den geplanten Massendeportationen
überschreitet Trump nun eine Schwelle, vor der jeder andere Politiker
bisher zurückschreckte. Um zu begreifen, wie perfide dieses Vorgehen
ist, muss man verstehen, wie das bestehende Einwanderungs-System
funktioniert. Die Steuerbehörde IRS verlangt von Arbeitern ohne
Papiere, Abgaben wie von jedem Bürger. Die staatlichen
Altersversicherungen "Social Security" und "Medicare" kassieren jedes
Jahr sechzehn Milliarden US-Dollar von den Undokumentierten ab, die
niemals auch nur einen Cent davon sehen werden. Ganz zu schweigen von
den US-Streitkräften, in deren Reihen über die Jahre mehrere
zehntausend Einwanderer ohne Papiere dienten. Hinzu kommt die
Realität, dass die Kinder der Migranten automatisch die amerikanische
Staatsbürgerschaft erlangen, wenn sie in den USA zur Welt gekommen
sind. Die Deportation ihrer Eltern machte sie plötzlich zu Waisen.
Aus all diesen Gründen galt es bisher in Washington als tabu, gegen
nicht-straffällig gewordene Einwanderer vorzugehen. Doch Trump meint,
was er im Wahlkampf sagte. Er ist persönlich verantwortlich für den
unmenschlichen Umgang mit bereits im Land lebenden Migranten und den
Flüchtlingen aus Zentralamerika an der Südgrenze. Dazu gehört die
staatlich angeordnete Trennung von Familien, die unterkühlten Käfige,
in denen Menschen wie Vieh gehalten werden, die Internierung von
Kindern und Jugendlichen in von Stacheldraht gesicherten Zelt-Lagern
oder die Schikanen, die Flüchtlinge bei Ankunft erwarten. Es ist kein
Zufall, dass Trump ausgerechnet in dem Jahr an die Macht gelangte,
als in den USA erstmals mehr farbige als weiße Babys zur Welt kamen.
Vor allem die weißen Männer, die seit Gedenken den Ton in der
Gesellschaft angeben, versuchen den drohenden Verlust ihres
Einflusses mit allen Mitteln aufzuhalten. Gegen eine
Regierungspolitik, die eine Minderheit zum Sündenbock macht, wird
Widerstand zur Pflicht. Die kommenden Tage werden zeigen, ob die
moralische Kraft in Trumps Amerika dazu noch vorhanden ist. Razzien
und Massendeportationen verhöhnen die Werte, die diese
Einwanderer-Nation einmal ausgezeichnet hatten.
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Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
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