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Hohe Zusatzgewinne für Radiologen durch Kontrastmittel

Geschrieben am 01-08-2019

Hamburg (ots) -

Sperrfrist: 01.08.2019 17:00
Bitte beachten Sie, dass diese Meldung erst nach Ablauf der
Sperrfrist zur Veröffentlichung freigegeben ist.

In fünf Bundesländern in Deutschland können Radiologen durch die
Abrechnung von Kontrastmitteln Zehntausende Euro zusätzlich im Jahr
verdienen. Das ergeben Recherchen von NDR, WDR und Süddeutscher
Zeitung auf Basis von internen Unterlagen von Radiologiepraxen und
Pharmaherstellern.

Demnach konnten zum Beispiel Radiologen in Bayern das
MRT-Kontrastmittel Dotagraf von der Firma Jenapharm zum Preis von 760
Euro je Liter einkaufen und von den Krankenkassen dafür 3900 Euro
über Kontrastmittel-Pauschalen erstattet bekommen. Damit sind mit
einem einzigen MRT-Gerät Zusatzeinnahmen von rund 100.000 Euro pro
Jahr möglich. Auf Anfrage teilt das Pharma-Unternehmen mit: "Wir
bitten um Verständnis, dass Jenapharm, ein Tochterunternehmen von
Bayer, zu Geschäftsbeziehungen Dritter grundsätzlich keine Stellung
nimmt."

Außer in Bayern können Radiologen auch in Bremen, Hamburg,
Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen Kontrastmittel über Pauschalen
abrechnen. Bei diesem Modell kaufen niedergelassene Radiologen
Kontrastmittel für Computertomographen (CT) und
Magnetresonanztomographen (MRT) ohne Preisbindung bei
Pharmaunternehmen ein und rechnen sie dann zu einer festen Pauschale
bei den Krankenkassen ab. Wie niedrig die tatsächlichen
Einkaufspreise sind, war bisher ein gut gehütetes Geheimnis der
Branche. NDR, WDR und SZ liegen nun erstmals Dutzende von
Einkaufsrechnungen von Radiologen und Liefer-Angebote von Firmen vor,
die zeigen, zu welch niedrigen Preisen die Ärzte diese Präparate
tatsächlich einkaufen.

Der ehemalige Vorsitzende Richter am Bundesgerichtshof Thomas
Fischer hält das Modell für "strafwürdig". Die Pauschalen nützten
"weder den Patienten noch den Krankenkassen noch dem Solidarsystem.
Sie führen zur ungerechtfertigten Bereicherung von Einzelnen und das
ist nicht zu akzeptieren." Fischer fordert deshalb die Krankenkassen
auf, dieses Modell zu beenden. Und der Gesetzgeber solle dafür
sorgen, dass diese enormen Zusatzgewinne untersagt werden.

Ein ebenfalls interner Vergleich von 28 radiologischen Praxen des
"Radiologienetzes Deutschland" legt zudem nahe, dass Ärzte in jenen
Bundesländern, in denen sie an Kontrastmitteln verdienen können,
doppelt so viel MRT-Kontrastmittel einsetzen wie in den
Bundesländern, in denen die Abrechnung direkt über die Krankenkasse
läuft. Das ist deshalb problematisch, weil einige dieser
Kontrastmittel im Verdacht stehen, seltene schwere Nebenwirkungen
verursachen zu können.

Auch einige Radiologen selbst lehnen die Zusatzgewinne ab. So sagt
Prof. Dr. Henrik Michaely aus Karlsruhe, der im Auftrag der Deutschen
Röntgengesellschaft die Sicherheit von Kontrastmitteln bewertet:
"Sobald ich als Arzt Geld verdienen kann mit dem Handel von
Kontrastmitteln, sehe ich das eigentlich auch als Verstoß gegen die
Berufsordnung von uns Ärzten". Dort heißt es, Ärzten sei es nicht
gestattet, sich für den Bezug von Arznei- oder Hilfsmitteln Vorteile
gewähren zu lassen.

Ob Radiologen Kontrastmittel über lukrative Pauschalen abrechnen
können oder nicht, vereinbaren vor Ort jeweils die Krankenkassen mit
der Kassenärztlichen Vereinigung. Federführend ist hierbei die AOK
der jeweiligen Region. Bundesweit gibt es die unterschiedlichsten
Regelungen. Im Gegensatz zu den fünf Ländern mit dem Pauschal-Modell
wird beispielsweise in Berlin und Schleswig-Holstein die Lieferung
von Kontrastmittel öffentlich ausgeschrieben. Die für Berlin
zuständige AOK Nordost teilte auf Anfrage mit, dass sie dadurch
Einsparungen von 7,7 Millionen Euro pro Jahr erwarte. Auf das gesamte
Bundesgebiet hochgerechnet, ergäbe das eine Einsparsumme von 180
Millionen Euro für die gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV).

Auf Anfrage von NDR, WDR und SZ teilte das
Bundesgesundheitsministerium mit, dass es die Verantwortung bei den
Krankenkassen sehe. Sie müssten sich auch bei den Vereinbarungen über
Kontrastmittel an das Wirtschaftlichkeitsgebot halten. "Bei Verstößen
können die Aufsichtsbehörden der Krankenkassen einschreiten", diese
müssten die "Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebots im Einzelfall
prüfen", so das Bundesgesundheitsministerium.

Die AOK Nordrhein, die AOK Rheinland, die AOK Nordwest, die AOK
Bayern, die AOK Niedersachsen, die AOK Nordost und der AOK
Bundesverband lehnten ein Interview zum Thema Kontrastmittel ab.
Schriftlich teilte die AOK Bayern auch im Namen der anderen
bayerischen Krankenkassen mit: "Die aktuelle Auswertung der Zahlen
belegt, dass Ärzte zu teils deutlich niedrigeren Preisen
Kontrastmittel beziehen, als von den Krankenkassen über die
Pauschalen vergütet wird." Deshalb verhandle man nun, um "künftig
eine Vergütung auf Grundlage von Marktpreisen zu erreichen". Die für
Bereich Westfalen-Lippe zuständige AOK Nordwest schrieb auf Anfrage:
"Mit der jetzt bestehenden juristischen Klarheit wird derzeit
geprüft, ob eine Ausschreibung von Kontrastmitteln auch für die GKV
in Westfalen-Lippe umgesetzt werden kann."

Mehr zu dem Thema auf panorama.de und heute um 21.45 Uhr in der
Sendung "Panorama" im Ersten.



Pressekontakt:
Norddeutscher Rundfunk
Presse und Information
Lara Louwien
Mail:l.louwien@ndr.de
Tel:040/4156-2312

Für inhaltliche Rückfragen wenden Sie sich bitte direkt an die
Redaktion: Panorama / Markus Grill (Tel: 0171-5310433)

http://www.ndr.de
https://twitter.com/NDRpresse

Original-Content von: NDR / Das Erste, übermittelt durch news aktuell


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