"Bundesregierung verschleppt den Bienenschutz" / Aurelia-Vorstand Thomas Radetzki mahnt vor Bundestagsausschuss mangelhafte Risikoprüfungen bei Pflanzenschutzmitteln an (FOTO)
Geschrieben am 21-10-2019 |
Berlin (ots) -
Die derzeitigen staatlichen Risikoprüfungen für
Pflanzenschutzmittel sind lückenhaft und reichen nicht aus, um
Umweltschäden insbesondere an Bienen und anderen bestäubenden
Insekten zu verhindern. Dies war heute der weitgehende Tenor einer
öffentlichen Anhörung des Petitionsausschusses im Bundestag, die sich
mit der erfolgreichen Bundestagspetition Pestizidkontrolle von
Imkermeister und Vorstand der Aurelia Stiftung, Thomas Radetzki,
befasste.
In seinem Eingangsstatement betonte Radetzki die Notwendigkeit
staatlicher Pestizidkontrollen, die dem aktuellsten Stand der
Forschung und Technik entsprechen müssten. Dies sei bisher nicht der
Fall. Schon 2013 habe die europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde
EFSA diese Defizite erkannt und eine Leitlinie zur Verbesserung der
Risikoprüfungen vorgeschlagen. Dabei sollten erstmals auch subletale
Effekte sowie Langzeitschäden an Bienen und anderen Bestäubern
angemessen berücksichtigt werden. Diese Leitlinie sei jedoch am
Widerstand der Industrie sowie einzelner EU-Staaten gescheitert.
Daraufhin sei eine deutlich abgeschwächte Version der sogenannten
"Bee Guidance" entwickelt worden, die Schäden an den besonders
gefährdeten Hummeln und Wildbienen nicht berücksichtigt. Die
Bundesregierung habe dem zugestimmt und damit ermöglicht, dass
weiterhin hochproblematische Wirkstoffe zugelassen und eingesetzt
würden.
Radetzki forderte die anwesenden Vertreter des Bundesministeriums
für Landwirtschaft (BMEL) auf, diesen Kurs schnellstmöglich zu
korrigieren und auf EU-Ebene entschieden für eine wirksame Bee
Guidance einzutreten. Andernfalls könnten die zuständigen deutschen
Behörden wie das Umweltbundesamt (UBA) weder das volle Ausmaß der
Schäden ermitteln noch die nötigen Maßnahmen zum Schutz der Bienen
und Biodiversität ergreifen.
Offener Streit in der Bundesregierung beim Thema Insektenschutz
In der anschließenden Diskussion zeigten sich die Vertreter aller
Parteien weitgehend einig, dass angesichts des massenhaften Sterbens
von Bienen und Insekten alles getan werden müsse, um insbesondere
Bestäuber besser zu schützen. "Es ist nicht zu bestreiten, dass
Pflanzenschutzmittel erhebliche negative Effekte haben", urteilte
Staatssekretär Florian Pronold (SPD), der bei der Anhörung das
Bundesumweltministerium (BMU) vertrat. Zugleich verwies Pronold auf
einen offenen Streit in der Regierungskoalition beim Thema
Insektenschutz.
Konkret geht es dabei um drei aktuelle Urteile des
Verwaltungsgericht Braunschweig (http://ots.de/X8MDUz), die es dem
UBA untersagen, bisher nicht berücksichtigte Umweltschäden durch
Pflanzenschutzmittel festzustellen und notfalls eigene
Anwendungseinschränkungen für Pestizide zugunsten des Umweltschutzes
zu erlassen. Sowohl Radetzki als auch Pronold forderten das BMEL auf,
eine sofortige Revision dieser Urteile zu erwirken. Ansonsten würde
die Regierung klaglos hinnehmen, dass nachweislich umweltschädliche
Pflanzenschutzmittel weiter zugelassen würden.
BMEL stellt Verbot von Thiacloprid bis Ende 2019 in Aussicht
Michael Stübgen, Staatssekretär des BMEL, wies die Vorwürfe zurück
und sprach von einem "Spannungsfeld zwischen Umweltschutz und
Landwirtschaft", deren unterschiedliche Interessen in Einklang zu
bringen seien. Die Bundesregierung sei durchaus gewillt gewesen, die
europäische "Bee Guidance" in ihrer ursprünglichen Form zu
verabschieden. Allerdings habe es dafür keine Mehrheit im
Europäischen Rat gegeben. Darüber hinaus stellte Stübgen ein Verbot
des besonders umstrittenen Insektizids Thiacloprid bis Ende 2019 in
Aussicht.
Der Grünen-Abgeordnete Harald Ebner fragte daraufhin kritisch
nach, warum die Bundesregierung der Überarbeitung der Bee Guidance
überhaupt zugestimmt habe. Manfred Todtenhausen (FDP) wollte außerdem
von Stübgen wissen, inwieweit auch sogenannte Cocktaileffekte, die
bei der Mischung mehrerer Pestizidwirkstoffe auftreten und zu einer
Potenzierung ihrer Giftigkeit führen können, bei den Risikoprüfungen
beachtet würden. Beiden Fragen wich Stübgen aus, räumte aber ein,
dass Wechselwirkungen zwischen unterschiedlichen Pestiziden bisher zu
wenig untersucht worden seien. "Das sind wir dabei zu beheben", so
Stübgen. Die Berücksichtigung von Cocktaileffekten ist ebenfalls eine
der zentralen Forderungen der Bundestagspetition Pestizidkontrolle.
Forderung nach industrieunabhängigen Studien
"Die Behörden sind bei der Risikobewertung bisher hauptsächlich
auf Daten angewiesen, die von den Pestizidherstellern selbst erhoben
werden. Die viel zu wenigen unabhängigen Studien, die auf bisher
nicht geprüfte Risiken eingehen, werden aus formalen Gründen nicht
berücksichtigt", stellte Radetzki klar. Eine unabhängige
Risikoprüfung nach aktuellem Stand der wissenschaftlichen Kenntnisse
sei so nicht möglich. "Das ist in Anbetracht von 1,2 Kilogramm
Pestiziden, die pro Kopf jährlich auf deutschen Äckern landen,
untragbar", so Radetzki weiter: "Bienen, Bürger und insbesondere
Bauern müssen sich darauf verlassen können, dass der Gesetzgeber die
Sicherheit von Pflanzenschutzmittel auch tatsächlich gewährleistet."
Der Petitionsausschuss wird nun darüber entscheiden, ob er sich
hinter die Forderungen der Petition stellt und eine entsprechende
Empfehlung an den Deutschen Bundestag geben. Entscheidet auch das
Parlament zugunsten einer Unterstützung der Petition, wird es einen
entsprechenden Beschluss mit Empfehlungen an die Bundesregierung
übermitteln.
Die heutige Anhörung kann nachträglich in der Mediathek des
Bundestags angeschaut werden: www.bundestag.de/mediathek
Mehr Infos zur Bundestagspetition Pestizidkontrolle finden Sie
unter www.pestizidkontrolle.de.
Pressekontakt:
Florian Amrhein (Aurelia Stiftung, Leitung Öffentlichkeitsarbeit):
florian.amrhein@aurelia-stiftung.de - Mobil: +49 (0)176 34 51 52 07
- www.aurelia-stiftung.de
Original-Content von: www.pestizidkontrolle.de, übermittelt durch news aktuell
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