Eine unerträgliche Wahl / Leitartikel zum Tabubruch in Thüringen von Christine Richter
Geschrieben am 05-02-2020 |
Berlin (ots) - Damit hat wohl keiner gerechnet: Am Mittwochmittag ist in
Thüringen nicht Bodo Ramelow (Linke) zum Ministerpräsidenten gewählt worden,
sondern der FDP-Politiker Thomas Kemmerich. Mit den Stimmen der AfD. Weil die
AfD, in Thüringen angeführt von Björn Höcke, den man - gerichtlich bestätigt -
als Faschisten bezeichnen darf, im dritten Wahlgang nicht ihren Kandidaten
wählte, sondern Kemmerich. Der FDP-Mann, unterstützt von FDP und CDU, kam so auf
45, Ramelow nur auf 44 Stimmen. Was für ein Tabubruch. Denn bislang galt: Unter
Demokraten ist es inakzeptabel, ja unerträglich, sich von der AfD, erst recht
von einem AfD-Mann wie Höcke, wählen zu lassen.
Mit dieser Wahl in Thüringen hat keiner gerechnet, aber sie ist sicherlich von
allen drei Parteien, zumindest von deren Spitzen, gut vorbereitet worden. Der
CDU-Spitzenkandidat Mike Mohring, der im Übrigen die Landtagswahl in Thüringen
haushoch gegen Ramelow verloren hatte und nur auf 21,8 Prozent der Stimmen
gekommen war, hatte unmittelbar nach der Wahl herumlaviert, wenn es um Fragen
nach einer Koalition mit den Linken oder der AfD ging. Von bürgerlicher Mitte
war da die Rede, von Verantwortung fürs Land. Die CDU-Bundesvorsitzende Annegret
Kramp-Karrenbauer und auch CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak griffen zwar sofort
ein und wurden nicht müde zu wiederholen, dass es keine wie immer geartete
Zusammenarbeit mit der AfD geben werde, es gelte der Parteitagsbeschluss. Nun,
Mohring hat nicht auf sie gehört.
Und die Liberalen? Sie haben das Spiel, das da getrieben wurde, mitgemacht. Wenn
Kemmerich wirklich von der Unterstützung durch die AfD-Abgeordneten überrascht
gewesen wäre, hätte er die Wahl zum Ministerpräsidenten ablehnen können.
Ablehnen müssen. Denn für Liberale, für aufrechte Demokraten ist es wahrlich
eine Schande, sich von diesen Rechtsaußen-Politikern wählen zu lassen. Muss man
noch darauf hinweisen, dass wir gerade erst an die Befreiung des
Konzentrationslagers Auschwitz vor 75 Jahren erinnert haben? Vor drei Jahren,
Ende 2017, hatte der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner die
schwarz-gelb-grünen Koalitionsverhandlungen mit den Worten platzen lassen: "Es
ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren." Wie für die CDU-Führung
gilt auch für die FDP: Auf ihren Bundesvorsitzenden haben die Thüringer nicht
gehört - und wollen nun mehr als falsch regieren.
Wie es in Thüringen weitergeht, ist noch völlig offen, denn der
FDP-Ministerpräsident hat mit seiner Partei - die bei der Wahl gerade so die
Fünf-Prozent-Hürde geschafft hat - und auch mit der CDU keine Mehrheit. Eine
solche Minderheitsregierung müsste von den anderen Parteien toleriert werden,
aber Linke, Grüne und SPD haben dies schon, völlig zu Recht, abgelehnt. Bliebe
also die AfD. Wollen CDU und FDP wirklich von deren Zustimmung abhängig sein?
Man mag es sich nicht vorstellen.
Bundes-CDU, FDP und auch die CSU versuchten am Mittwochnachmittag noch zu
retten, was kaum zu retten war. CDU-Generalsekretär Ziemiak, FDP-Parteichef
Lindner und auch CSU-Chef Markus Söder forderten Neuwahlen in Thüringen. Die
drei Parteien stehen auch immens unter Druck, denn die anderen Parteien, auch
die SPD, sind über die Vorgänge in Thüringen völlig außer sich. Neuwahlen wären
jetzt der einzige, der richtige Schritt.
Was für ein Tabubruch dies war, wie sehr sich die bürgerlichen Parteien FDP und
CDU damit selbst geschadet haben, haben viele offenbar nicht begriffen. Auch der
Berliner CDU-Fraktionschef Burkard Dregger nicht. Dregger sagte, die Wahl in
Thüringen sei "eine demokratische Entscheidung, die nicht zu kritisieren ist".
Es ist eine Schande.
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