Helden gesucht, Kommentar zur Coronakrise von Mark Schrörs
Geschrieben am 16-03-2020 |
Frankfurt (ots) - In der Weltfinanzkrise, vor allem im Jahr 2008, hat primär das beherzte Eingreifen der Notenbanken verhindert, dass die Krise in eine große Depression wie in den 1930er Jahren mündete. EZB-Präsidentin Christine Lagarde pries die Notenbanker anno 2014, damals noch als IWF-Chefin, durchaus zu Recht als "Helden der Krise". In der Coronakrise wünschen sich nun wieder viele die Zentralbanken als Helden. Aber so sehr die Einsicht auch schmerzt: Dieses Mal werden die Zentralbanker allein die (Wirtschafts- und Finanz-)Welt nicht retten können. Das liegt nicht nur an den inzwischen arg limitierten Mitteln der Geldpolitik - sondern vor allem an der Art dieser Krise.
Spätestens seit Sonntagabend sind die Zentralbanken mit der US-Notenbank Fed an der Spitze wieder voll im Krisenmodus à la 2008: Zum zweiten Mal binnen weniger als zwei Wochen hat die Fed ihren Leitzins außer der Reihe gesenkt - und das gleich um 100 Basispunkte auf das bereits in der Finanzkrise erreichte Allzeittief von 0 bis 0,25 Prozent. Zudem greift sie wieder zu breiten Wertpapierkäufen (Quantitative Easing, QE) und pumpt zunächst 700 Mrd. Dollar ins Finanzsystem. "All in" hieße das beim Poker. Zugleich haben die wichtigsten Zentralbanken in einer konzertierten Aktion verkündet, weltweit für ausreichende Dollarliquidität zu sorgen. So verständlich die globale Mobilmachung der Geldpolitik aber auch ist - das allein wird nicht reichen.
In der Weltfinanzkrise galt es vor allem zu verhindern, dass die Verwerfungen im Finanzsystem die Realwirtschaft komplett abstürzen ließen. Die Notenbanken konnten da mit ihren Mitteln einen Kollaps des Finanzsystems und damit noch dramatischere Folgen für das Wachstum abwenden. Die Coronakrise ist aber eine globale Gesundheitskrise historischer Dimension, die unweigerlich enorme Schäden für das Wachstum zeitigen wird - zumal es einen Trade-off zwischen Eindämmung des Virus und Sicherung der Wirtschaftsaktivität gibt. Die Zentralbanken müssen nun primär eine breite Ansteckung des Finanzsystems unterbinden, um so eine neuerliche Rückwirkung auf die Wirtschaft und eine Abwärtsspirale zu vermeiden. Den eigentlichen Schaden aber können Fed & Co. allenfalls begrenzen.
Keine noch so starke Zinssenkung wird Menschen, die wegen des Coronavirus freiwillig oder gezwungenermaßen zuhause bleiben, dazu bringen, mehr zu konsumieren. Kein noch so umfangreiches QE-Programm wird Unternehmen, die unter unterbrochenen Lieferketten und ausbleibendem Geschäft leiden, dazu verleiten, mehr zu investieren. Und genauso wird keine noch so spendable Liquiditätsspritze die Panik der Anleger überwinden. Im Gegenteil: Die zwei Notaktionen der Fed haben die Unsicherheit und Hysterie eher verstärkt. Tatsächlich stellen sich Investoren zu Recht die Frage, wie viel Angst in der Fed herrscht, wenn sie meint, nicht einmal mehr die drei Tage bis zur regulären Sitzung abwarten zu können. So kann jedes Krisenmanagement nach hinten losgehen.
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Es ist richtig und wichtig, dass die Notenbanken bei einer globalen Flucht in Sicherheit und Cash ganz klarmachen, dass sie ein Austrocknen der Finanzmärkte verhindern und die Stabilität des Finanzsystems sichern werden. Dass die Notenbanken Banken und Unternehmen nun einen verlässlichen Zugang zu Liquidität in Dollar zusichern, ist daher ein gutes Signal. Genauso richtig ist es, durch gezielte Hilfen für die Banken einer breiten Kreditklemme vor allem für kleine und mittlere Unternehmen vorzubeugen. Damit aus der Börsenbaisse kein Finanzmarktkollaps und aus der wohl unabwendbaren Rezession keine Depression wird, braucht es aber mehr.
Das relativiert auch die Kritik an der Europäischen Zentralbank (EZB). Statt wie die Fed alle Register zu ziehen, hatte sie vergangene Woche eher gezielte Maßnahmen beschlossen und insbesondere auf eine Zinssenkung verzichtet. Wer das als viel zu zögerlich attackiert, verkennt, dass die Leitzinsen der EZB ohnehin schon bei oder gar unter 0 Prozent liegen und die EZB bereits im November wieder mit Anleihekäufen begonnen hat - die sie nun noch aufgestockt hat. Zudem stellt die EZB nun in großem Stil Liquidität bereit. EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat bei der Pressekonferenz nach der Sitzung ganz sicher keine allzu gute Figur gemacht - was auch die aufgeregte "Nachbereitung" etwa mittels eines Blogs von EZB-Chefvolkswirt Philip Lane auf der EZB-Internetseite erklärt. Die Entscheidungen per se aber waren und sind klug.
Viel entscheidender ist jetzt aber kluges und entschlossenes Handeln seitens der Politik. Das Wichtigste ist, dass schnellstmöglich mehr Tests auf das Coronavirus ermöglicht werden. Sonst können Erkrankte nicht isoliert und Infektionsketten nicht unterbrochen werden. Genauso zentral ist es, dass die Politik sinnvolle und effektive Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus unternimmt - inklusive auch starker Einschnitte ins gesellschaftliche Leben. Zugleich darf Politik aber keine Panikmache betreiben. Und auch bei der Einhegung des wirtschaftlichen Schadens kommt es jetzt vor allem auf die Politik an - konkret: die Fiskalpolitik. Erst recht, wenn sich die Krise weiter zuspitzt, braucht es global koordiniert massive Fiskalhilfen.
Leider hat die Politik und allen voran ein überforderter US-Präsident bislang einen eher schlechten Eindruck hinterlassen. Das hat viel Vertrauen zerstört. Statt zunehmendem Krisennationalismus braucht es jetzt auch viel mehr grenzüberschreitende Kooperation - in Europa und weltweit. Scheitert die Politik an der Covid-19-Herausforderung, droht auch noch eine schwere Demokratiekrise. Jetzt braucht es neue Helden.
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