"Report Mainz": Neue Hinweise auf Gesetzesverstöße bei PKW-Maut / Sendung heute, 26.5.2020, 21:45 Uhr im Ersten / Moderation: Fritz Frey
Geschrieben am 26-05-2020 |
Mainz (ots) - Bundesrechnungshof über "Toll Collect-Deal" getäuscht / Opposition: "Minister Scheuer hat ganz bewusst Recht gebrochen und sollte zurücktreten."
Die Redaktion des ARD-Politikmagazins "Report Mainz" hat tausende interne Dokumente aus dem Bundesverkehrsministerium ausgewertet. Sie legen den Verdacht nahe, dass der Bundestag und Bundesrechnungshof im Zusammenhang mit der PKW-Maut bewusst getäuscht wurden. Zudem wurde die Aufklärung offenbar behindert.
Derzeit prüft ein Untersuchungsausschuss des Bundestages die Vorgänge rund um die gescheiterte PKW-Maut. Laut Bundesrechnungshof (BRH) hat das Bundesverkehrsministerium (BMVI) gegen Haushaltsrecht verstoßen, weil es u. a. Kosten für die Maut-Erhebung zur bundeseigenen "Toll Collect GmbH" verschoben und den Bundestag darüber nicht informiert hatte. Darüber hatte "Report Mainz" im Herbst 2019 erstmals berichtet. Das Staatsunternehmen Toll Collect sollte dem privaten Betreiber u. a. seine Mautbrücken und Terminals zur Verfügung stellen. Gegenwert laut internen Unterlagen: 360 Millionen Euro.
Bundesrechnungshof: Aufklärung wurde behindert Der Bundesrechnungshof hat für seine Prüfungen mehrmals Fragenkataloge an das Bundesverkehrsministerium geschickt, die "Report Mainz" ebenfalls vorliegen. In E-Mails und internen Prüfvermerken wurde dem Verkehrsministerium vorgeworfen, die Aufklärung zu behindern. Das Verhalten des Ministeriums grenze an "Arbeitsverweigerung", zudem wurde in mehreren E-Mails immer wieder kritisiert, dass wichtige Maut-Unterlagen fehlen würden. Am 25. Oktober 2019 hatte der Rechnungshof einen ersten Entwurf seines Gutachtens an das Bundesverkehrsministerium geschickt, mit der Bitte um Stellungnahme. Wenige Tage später verschickte das Verkehrsministerium seine Antwort an den Bundesrechnungshof. Die Dokumente dazu liegen "Report Mainz" vor. Auf die Frage, warum der Bundestag erst im Nachhinein über den "Toll Collect-Deal" informiert wurde, schrieb das BMVI: "Eine frühere Haushaltsanmeldung war hier deswegen nicht möglich, weil zum Zeitpunkt des Abschlusses des Betreibervertrages noch nicht feststand, dass sich der Betreiber der Toll Collect GmbH bedienen würde."
"Das BMVI sagt die Unwahrheit" "Das ist eine ganz krasse Fehlaussage und Unwahrheit" kritisiert Oliver Luksic, FDP-Vertreter im Untersuchungsausschuss. "Im September (2018) wurde zum ersten Mal mit Toll Collect gesprochen. Im November und Dezember wurde das final vereinbart. Das ist Teil des Vertrages, der am 30.12. auch unterzeichnet wurde. Also insofern ist das eine ganz klare Fehlaussage." Das Bundesverkehrsministerium wiederholte dagegen auf Anfrage von "Report Mainz", dass zum Zeitpunkt der Vertragsunterschrift am 30.12.2018 nicht festgestanden habe, dass Toll Collect in die Maut eingebunden wird. Doch ein anderes Bild zeigt sich in den Dokumenten, die "Report Mainz" vorliegen und die als "Verschlusssache" eingestuft wurden. Demnach wurde bereits mehrere Wochen bevor die Mautverträge unterschrieben wurden, die Einbindung von Toll Collect ausgehandelt. Diese "Verhandlungsgespräche" wurden u. a. in einem internen Schreiben zusammengefasst. Darin wird die "Mitnutzung der Zahlstellenterminals" der Toll Collect beschrieben: "Dem Betreiber wird hinsichtlich aller Zahlstellen die Möglichkeit zur Mitnutzung der Zahlstellenterminals der TC eingeräumt." Dazu passt: Schon wenige Tage nach der Maut-Unterschrift begann die gemeinsame Arbeit zwischen dem Mautanbieter "Kapsch/Eventim" und Toll Collect.
Kritik von Mitarbeitenden im Verkehrsministerium Offenbar hatten auch Mitarbeitende des BMVI größere Probleme mit den öffentlichen Stellungnahmen des eigenen Hauses. Das geht aus internen Mails hervor, die "Report Mainz" ebenfalls vorliegen. Eine ranghohe Mitarbeiterin im Verkehrsministerium schrieb dazu an eine Kollegin: "... es ist nicht schön, wenn wir als Fachebene für die allgemein politischen Auseinandersetzungen benutzt werden und Aussagen tätigen sollen, die definitiv nicht stimmen." In einer weiteren Mail heißt es, der Minister habe Zweifel nicht an sich herangelassen, "ihm ging es darum, dem BRH pressewirksam etwas entgegenzuhalten. Was wir zu sagen haben, will dort eigentlich keiner hören." Die Mitarbeiterin beendete diese Mail mit der Empfehlung an ihre Untergebene: "Bitte bei dem Thema - wo es irgendwie geht - raushalten!"
Staatsrechtler: Ein eklatanter Verstoß gegen Vergaberecht Einige Wochen vor der Vertragsunterschrift hatte das Verkehrsministerium heimlich Verhandlungen mit dem einzig verbliebenen Anbieter "Kapsch/Eventim" geführt. Das war laut Vergaberecht verboten, erläutert der renommierte Staatsrechtler Prof. Joachim Wieland gegenüber "Report Mainz": "Das ist tatsächlich per se verboten. Wenn man mit einem einzigen Anbieter weiterverhandelt, verändert man die Wettbewerbsbedingungen, es herrscht keine Chancengleichheit mehr. Das ist ein Verstoß gegen das geltende Vergaberecht, und zwar ein eklatanter Verstoß." Das Bundesverkehrsministerium äußerte sich auf konkrete Nachfrage von "Report Mainz" nicht zu der Frage, ob die heimlichen Verhandlungen illegal waren. Staatsrechtler Prof. Joachim Wieland kommt zu dem Schluss, dass bei der Maut mehrfach gegen Recht und Gesetz verstoßen wurde: "Das ist wirklich ein Skandal. Und das ist nicht üblich, glücklicherweise. Solche schweren Verstöße, sowohl gegen das Haushaltsrecht, als auch das Vergaberecht in nur einem Verwaltungsverfahren, da muss man lange suchen, bis man das in der Geschichte der Bundesrepublik findet." 
Opposition: Scheuer hat ganz bewusst Recht gebrochen Für die Opposition steht fest, dass Minister Andreas Scheuer dafür die Verantwortung trägt. "Die neuen Unterlagen zeigen ganz klar, dass die bisherige Argumentationslinie des Verkehrsministeriums in sich zusammengebrochen ist", sagt FDP-Mann Oliver Luksic. Und Oliver Krischer, für die Grünen im U-Ausschuss ergänzt: "Wir haben einen Minister, der ganz bewusst Recht gebrochen hat, um ein Lieblingsprojekt der CSU durchzusetzen, der in Kauf genommen hat, dass die Steuerzahler um dreistellige Millionenbeträge geschädigt werden. Und deshalb hat Herr Scheuer in diesem Amt nichts verloren."
"Pimp my Autobahn" Wie überzeugt Verkehrsminister Scheuer von seinen Mautplänen war, belegt auch eine unveröffentlichte Pressemitteilung. Diese wäre verschickt worden, wenn der europäische Gerichtshof die Mautpläne durchgewunken hätte - darin heißt es: "Alle Unkenrufer, Maut-Mauler und Besserwisser dürfen nun gerne staunen; Die Pkw-Maut ist europarechtskonform und sie kommt! Was die Autofahrer davon haben? Sie können dem Verkehrsminister nun zurufen: Pimp my Autobahn - ich habe dafür bezahlt." Doch am 18. Juni 2019 hat der EuGH die Mautpläne von Minister Scheuer bekanntlich gestoppt. Die Maut-Firmen "Kapsch/Eventim" fordern jetzt rund eine halbe Milliarde Euro Schadenersatz.
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