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Steuerzahler müssen Umbau zur klimaneutralen Industrie mitfinanzieren

Geschrieben am 19-09-2020

Düsseldorf (ots) - Die Steuerzahler müssen nach den Worten von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) den notwendigen Umbau der Industrie zu einer klimaneutralen Produktion künftig stärker mitfinanzieren. "Flugzeuge können klimaneutral fliegen, Autos können klimaneutral fahren, und wir können grünen Stahl und grüne Chemieprodukte herstellen. Aber wenn wir die Industrie mit diesen Anstrengungen alleine lassen, wird es auf Dauer immer weniger Industrie in Deutschland geben", sagte Altmaier der Düsseldorfer "Rheinischen Post" (Samstag). "Deshalb müssen wir die Wirtschaft konkret beim Umstieg auf neue Produktionsprozesse mit öffentlichen Mitteln unterstützen", sagte der Minister. Die Stahlindustrie alleine benötige für den Umstieg auf grünen Wasserstoff bis 2050 rund 30 Milliarden Euro, bis 2030 rund zehn Milliarden Euro. "Diese Kosten sind gesamtgesellschaftliche Kosten, deshalb müssen wir uns als Gesellschaft daran beteiligen", betonte Altmaier. "Die grundlegende Frage ist doch, wollen wir die Erderwärmung auf das Unvermeidliche begrenzen, um die Zukunft des Planeten zu bewahren? Dann müssen wir auch bereit sein, die notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen", sagte der CDU-Politiker. Er wolle zur Herstellung der Klimaneutralität der gesamten Wirtschaft bis 2050 einen parteiübergreifenden Konsens herstellen. "Ich bin überzeugt: Wenn wir den haben, können wir auch die nachhaltige Finanzierung sicherstellen", sagte Altmaier.

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Komplettes Interview mit Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier für die "Rheinische Post" (Samstag)

Herr Altmaier, jahrelang wurden Sie als Bremser beim Klimaschutz wahrgenommen, seit letzter Woche geben Sie den großen Antreiber. Wie kam es zu dieser Wandlung? Altmaier Es gibt auf der einen Seite eine große Enttäuschung bei vielen jungen Menschen, weil sie überzeugt sind, dass wir zu langsam und zu spät klimapolitische Entscheidungen fällen. Auf der anderen Seite gibt es eine große Sorge in weiten Teilen der Wirtschaft, dass der Klimaschutz zu einer Deindustrialisierung Deutschlands führt und unseren Wohlstand gefährdet. Das hat mich zu der Überzeugung gebracht, dass wir einen historischen Kompromiss zwischen den berechtigten Interessen des Klimaschutzes und der Wirtschaft brauchen und herbeiführen müssen.

Die Fridays-For-Future-Aktivistinnen Greta Thunberg und Luisa Neubauer haben Sie also beeindruckt? Altmaier Mich beeindruckt, dass so viele junge Menschen das Thema Klimaschutz auf ihre Fahnen schreiben, übrigens auch solche, die eher den Konservativen zuneigen. Sie befürchten, dass die Generation ihrer Eltern und Großeltern vitale Zukunftsinteressen der jungen Menschen vernachlässigt. Den Klimaschutz größer zu schreiben, ist auch eine Frage des Vertrauens zwischen den Generationen.

Die Wirtschaft hätte das nicht gerade vom Wirtschaftsminister, sondern eher von der Umweltministerin erwartet. Fallen Sie der Wirtschaft nicht in den Rücken? Altmaier Im Gegenteil: Ich habe aus der Wirtschaft sehr viel Ermutigung bekommen, weil ich zum ersten Mal deutlich ausgesprochen habe, dass Klimaschutz nur gelingen kann, wenn wir die berechtigten Interessen der Wirtschaft berücksichtigen. Wir haben es zu lange vermieden, die Wirtschaft in diesem ökologischen Transformationsprozess ausreichend zu unterstützen. Es ist möglich, grünen, klimaneutralen Stahl mit Hilfe von Wasserstofftechnologien zu produzieren. Aber die Milliardeninvestitionen, die damit verbunden sind, dürfen wir nicht der Stahlindustrie alleine aufbürden, denn die befindet sich in einer wirtschaftlich außerordentlich schwierigen Situation.

Also sollen die Steuerzahler den Umbau der Stahlindustrie bezahlen? Altmaier Flugzeuge können klimaneutral fliegen, Autos können klimaneutral fahren und wir können grünen Stahl und grüne Chemieprodukte herstellen. Aber wenn wir die Industrie mit diesen Anstrengungen alleine lassen, wird es auf Dauer immer weniger Industrie in Deutschland geben. Deshalb müssen wir die Wirtschaft konkret beim Umstieg auf neue Produktionsprozesse mit öffentlichen Mitteln unterstützen. Die Stahlindustrie allein benötigt für den Umstieg auf grünen Wasserstoff bis 2050 rund 30 Milliarden Euro, bis 2030 rund 10 Milliarden Euro. Diese Kosten sind gesamtgesellschaftliche Kosten, deshalb müssen wir uns als Gesellschaft daran beteiligen.

Dafür brauchen Sie vor allem den Finanzminister, der Ihnen das viele Geld zur Verfügung stellen muss! Altmaier Ich will einen parteiübergreifenden Konsens. Ich bin überzeugt: Wenn wir den haben, können wir auch die nachhaltige Finanzierung sicherstellen. Ich bin dafür, dass wir einen bestimmten Anteil des Bruttoinlandsprodukts für Klimaschutz-Ausgaben und den Umbau der Wirtschaft reservieren.

Wo könnte denn frisches Geld zur Finanzierung des Umbaus herkommen? Altmaier Die EU-Kommission diskutiert aktuell über eine Grenzausgleichssteuer: Wenn schmutzige Produkte wie etwa schmutziger Stahl aus China in die EU importiert werden, erhebt die EU einen Zoll, der den CO2-Vorteil des schmutzigen Stahls ausgleicht. Die Produzenten sauberen Stahls aus Europa erhielten dann eine Erstattung, um international wettbewerbsfähig zu bleiben. Es gibt auch die Möglichkeit, im Inland eine CO2-Abgabe bei denen zu erheben, die schmutzige Produkte herstellen. Wir wollen durch neue Instrumente keinen Anreiz für protektionistische Maßnahmen anderer Länder setzen und klar ist, dass jedes Instrument kompatibel mit dem Welthandelsrecht sein muss. Daher sind wir hier noch in der Diskussion.

Zur Finanzierung der großen Aufgabe haben Sie drei Möglichkeiten: Andere Ausgaben kürzen, neue Schulden machen oder die Steuern erhöhen. Wofür sind Sie? Altmaier Ich entscheide mich für die vierte Möglichkeit, nämlich durch mehr Wirtschaftswachstum neue Steuereinnahmen zu generieren.

Klingt sehr sozialdemokratisch! Altmaier Nein, das ist zutiefst marktwirtschaftlich. Wir haben in den letzten Jahren über mehrere Hundert Milliarden Euro zusätzlich für wichtige Zukunftsausgaben ausgeben können, weil wir ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum hatten. Die grundlegende Frage ist doch, wollen wir die Erderwärmung auf das Unvermeidliche begrenzen, um die Zukunft des Planeten zu bewahren? Dann müssen wir auch bereit sein, die notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen.

Sind Sie für die Rückkehr zur Schuldenbremse? Altmaier Ja, natürlich. Die Schuldenbremse steht im Grundgesetz. Dahin wollen wir so schnell wie möglich zurück. Und es sieht gut aus: Im Augenblick korrigieren die Wirtschaftsforschungsinstitute ihre Konjunkturprognosen nach oben. Der Abschwung wird in diesem Jahr nicht ganz so stark ausfallen wie ursprünglich befürchtet musste. Wir sehen bereits im laufenden dritten Quartal, dass sich die Auftriebskräfte in der Wirtschaft durchsetzen.

Die Wirtschaft fürchtet weiter steigende Stromkosten durch Energiewende und Klimaschutz. Wie wollen Sie das verhindern? Altmaier Ich schlage vor, dass wir in der "Charta für Klimaneutralität und Wirtschaftskraft", die alle gesellschaftlichen Gruppen mittragen, die langfristige Senkung der EEG-Umlage zur Förderung des Ökostroms garantieren. Mitte dieses Jahrzehnts werden zudem viele Wind- und Solaranlagen aus der Förderung herausfallen. Dadurch wird das EEG weniger belastet. Die neuen Anlagen werden marktwirtschaftlich ausgeschrieben. Insofern halte ich es perspektivisch für möglich, die EEG-Umlage in den nächsten zehn Jahren schrittweise abzusenken und schließlich ganz abzuschaffen.

Kritiker meinen, dass Ihre Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) zu wenig neuen Schwung in den Ausbau der Öko-Energien bringt. Altmaier Nein. Im Gegenteil: Wir erhöhen in dem Gesetz den geplanten jährlichen Zubau für neue Wind- und Solaranlagen deutlich. Natürlich ist mir bekannt, dass die Branche oder die Grünen einen noch schnelleren Zubau fordern. Das setzt dann aber voraus, dass es einen Konsens gibt über die dann notwendigen zusätzlichen Stromleitungen. Wenn die EU im nächsten Jahr neue Klimagesetze beschließt, passen wir das selbstverständlich auch national an. Das ist in meinem aktuellen Entwurf auch schon so angelegt.

Ist Nord Stream 2 für die Energieversorgung in Deutschland unverzichtbar? Altmaier Nord Stream 2 gehört zu den Projekten, die über einen Zeitraum von Jahrzehnten geplant und realisiert werden und Planungssicherheit benötigen, damit Fehlinvestitionen vermieden werden.

Egal was Putin tut? Altmaier Nein. Wie wir auf den feigen Anschlag gegen Alexej Nawalny reagieren, darüber wird die Bundesregierung mit ihren europäischen Verbündeten beraten.

Und die Pipeline ist für die deutsche Energieversorgung unverzichtbar? Altmaier Wir steigen in Deutschland aus Kohle- und Atomenergie aus. Deshalb brauchen wir einen massiven Zubau Erneuerbarer Energien und für eine Übergangszeit auch mehr Gas.

Ihre Ministerkollegen, Gerd Müller und Hubertus Heil, wollen in dieser Wahlperiode noch das Lieferkettengesetz für faire Produktionsbedingungen durchsetzen. Werden Sie dafür grünes Licht geben? Altmaier Im Koalitionsvertrag ist vorgesehen, dass auf der Basis des Nationalen Aktionsplans Menschenrechte ein Lieferkettengesetz erarbeitet werden soll. Dazu ist die Bundesregierung bereit. Aktuell laufen die Beratungen innerhalb der Bundesregierung über Eckpunkte für ein solches Gesetz. Ich kann aber nicht erkennen, dass wir angesichts der äußerst schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen - wir befinden uns in einer Rezession - über den Koalitionsvertrag hinausgehen können. Meine Aufgabe sehe ich darin, dafür zu sorgen, dass wir neue unnötige Belastungen für die Wirtschaft vermeiden.

Ist Ihr Klimaplan ein Signal dafür, dass Sie für ab 2021 für eine schwarz-grüne Regierung sind? Altmaier Meine Einladung richtet sich an alle demokratischen Parteien der Mitte, FDP, Grüne und SPD - und kann schon deshalb nicht als Signal für eine Partei oder eine Koalition fehlinterpretiert werden.

Sie waren einst Mitglied der Pizza-Connection, einem schwarz-grünen Gesprächskreis. Dieser gehörte auch NRW-Ministerpräsident Armin Laschet an. Sind die alten Bande so stark, dass sie ihn als künftigen CDU-Chef empfehlen? Altmaier Die Verabredung ist, dass es keine Empfehlungen führender Parteimitglieder oder Regierungsmitglieder gibt. Daran möchte ich mich halten. Der Parteitag soll unvoreingenommen und aus eigener Verantwortung entscheiden.

Oder Sie sagen zwei Tage vor dem Parteitag doch noch etwas, wie 2018, als sie sich für Kramp-Karrenbauer eingesetzt haben? Altmaier Damals war die Lage anders, weil es aus der Parteiführung explizite Unterstützung für einen anderen Kandidaten gegeben hatte. Im Übrigen halte ich öffentliche Personaldebatten inmitten der Corona- und Wirtschaftskrise für das Falscheste, was wir tun könnten.

2018 ist es nicht gelungen, dass sich die Partei hinter der neuen Vorsitzenden versammelt. Wieso sollte das 2020 anders sein? Altmaier Ich bin da sehr zuversichtlich. Während der Corona-Pandemie gab es eine herausragende Geschlossenheit von CDU und CSU. Das hat uns einen Glaubwürdigkeitsvorschuss gegeben, dem müssen wir gerecht werden, wenn wir das gewonnene Vertrauen nicht wieder verspielen wollen.

Pressekontakt:

Rheinische Post
Redaktion

Telefon: (0211) 505-2627

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