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Patente auf mathematische Algorithmen lassen Flut der Softwarepatente steigen

Geschrieben am 03-05-2006

Montabaur (ots) -

EPA patentierte Algorithmus wegen Zusammenhang mit
Verbrauchserfassungsgeräten - Patent von Techem nominiert für die
Wahl zum 'Softwarepatent des Jahres 2006' - Fünf neue Kandidaten
stehen im Mai zur Wahl

Das Patent EP1437835 der Techem AG zeigt mustergültig die Probleme
auf, die mit der seit vielen Jahren üblichen Vergabe von
Softwarepatenten einher gehen. Unternehmen wie Techem wappnen sich
mit softwarebezogenen Patenten für den Tag, an dem solche Patente
legitimiert und damit rechtlich durchsetzbar werden. EP1437835
wurde im Rahmen der von 1&1, GMX, mySQL, Red Hat und CAS
unterstützten Informationskampagne nosoftwarepatents-award zum
'Softwarepatent des Monats April' gewählt und ist damit nominiert für
die im Herbst stattfindende Wahl des 'Softwarepatentes des Jahres'.
EP1437835 bezieht sich auf ein Verfahren zur "Einsparung von
Speicherplatz mittels geeigneter Maßeinheiten". Die Patentansprüche
drehen sich um einen Algorithmus, den Informatik-Studenten
normalerweise im zweiten Semester kennenlernen. Die Patentschrift
schildert detailliert das mathematische Prinzip und dessen Anwendung
in Verbrauchserfassungsgeräten, auf die das Patent eingeschränkt
wird.

Kern des Problems liegt in der Vergabe von Softwarepatenten

Techem will nach eigenen Angaben mit diesem Patent das Risiko
vermeiden, durch Wettbewerber von der Nutzung des im Patent
dargestellten Prinzips ausgeschlossen zu werden. Die Umsetzung
solcher eher defensiv markierten Patentstrategien trägt zwar bei
zur steigenden Flut von Softwarepatenten, ist jedoch nicht die
grundlegende Ursache dieses Problems. Entscheidender ist, dass das
Europäische Patentamt (EPA) solche Patente entgegen des seit 1973
geltenden Europäischen Patentabkommens immer wieder genehmigt und
dass eine zukünftige Legitimierung tausender Softwarepatente nicht
ausgeschlossen werden kann.

Patentierte Mathematik

Hinter EP1437835 steht etwas Mathematik: Eine Ansammlung von
Zahlen wird durch einen geeigneten Normierungsfaktor dividiert und
gerundet. Dieser Algorithmus 'als solcher' hätte beim Europäischen
Patentamt (EPA) keinerlei Chance auf Patentierung haben dürfen. Eine
mögliche Erklärung für die Vergabe dieses Patentes ist, dass der laut
Beantragung zunächst allgemein formulierte Algorithmus auf die
Anwendung in Verbrauchserfassungsgeräten beschränkt wurde. "Dass ein
solches Verfahren speziell für den Bereich der
Verbrauchserfassungsgeräte patentiert ist, obwohl es zu diesem keinen
spezifischen Bezug aufweist, wird kaum ein Programmentwickler
ernsthaft in Betracht ziehen. Die Gefahr, dieses Patent versehentlich
zu verletzen, ist damit besonders groß", kommentiert Andreas Neumann,
Spezialist für europäisches Telekommunikationsrecht. Eine
unwissentliche Patentverletzung würde nicht vor den wirtschaftlichen
Konsequenzen schützen, wenn für eine fertige Software zur
Verbrauchserfassung plötzlich horrende Lizenzgebühren gefordert
werden, wodurch das Projekt oder sogar die Existenz eines
Software-Hauses wanken kann. "Wieder einmal ist offensichtlich zur
Abgrenzung gegenüber einer so genannten reinen 'Software-Erfindung'
ein technischer Effekt (wenn man die Anwendung mathematischer
Methoden bei an sich bekannten Geräten so nennen will) zur Begründung
der Patentfähigkeit herangezogen worden", fügt Patentanwalt Michael
Wolf hinzu.

Stellungnahme der Techem AG

Solche Gedanken waren für die Techem AG kein Thema bei der
Beantragung von EP1437835 im Jahr 2004. Pressesprecher Stefan Lutz
erläutert: "Die derzeitige Patentierungspraxis ist für uns ein
Bestandteil des rechtlichen Rahmens, in dem wir unternehmerisch
tätig sind. Deshalb stellt sich für uns nicht die Frage, ob diese
Patentierungspraxis sinnvoll ist oder nicht. Vielmehr müssen wir
uns die Frage stellen: Was passiert, wenn wir bestimmte Verfahren,
die für unsere Geschäftstätigkeit wichtig sind, nicht patentieren
lassen? Dann würden wir aufgrund des überschaubaren Marktes, in dem
wir uns bewegen, ein erhebliches Risiko eingehen, dass uns ein
Wettbewerber zuvorkommt, und dass wir selbst von der Nutzung eines
Verfahrens ausgeschlossen sind. Dieses Risiko wollen wir so gering
wie möglich halten. Wir setzen das patentierte Verfahren im Rahmen
der Funkübertragung von Verbrauchsdaten ein: Von Techem installierte
Verbrauchserfassungsgeräte für Wärme und Wasser (derzeit rund
sieben Millionen) funken die relevanten Verbrauchsdaten an mobile
Datenempfänger".

Negative Effekte durch Patentierungspraxis und Softwarepatente

Mehrere Fachleute haben sich zur Nominierung von EP1437835
geäußert. Bemerkenswert ist, dass mit Michael Wolf ein Patentanwalt
kritisch die Vergabe softwarebezogener Patente kommentiert:
"Unabhängig von wirtschaftlichen Interessen sollte es das gemeinsame
Ziel sowohl der Erteilungsbehörden und entsprechender
Interessengruppen als auch der Gegner so genannter 'Software-Patente'
sein, noch klarer und eindeutiger als bisher die Grenzen der
Patentierbarkeit zu definieren. Nur weil dies offenkundig nicht
einfach bzw. sogar sehr schwierig ist (siehe EU-Richtlinienverfahren
zu computerimplementierten Erfindungen), sollte es im Umkehrschluss
nicht zu einer Aushöhlung der nach Auffassung des Verfassers
durchaus sinnvollen Schutzausschließungsklausel gemäß A. 52 (2) a)
und c) EPÜ kommen".

Softwarepatent-Experte Florian Müller hinterfragt die in der
Stellungnahme von Techem angedeutete Strategie ein Patent zu
beantragen, damit Wettbewerber dem Unternehmen nicht zuvorkommen
können: "Niemand muss ein Patent anmelden, um zu verhindern, dass
sich jemand anderes ein Patent auf dieselbe Idee verschafft. Um
Prior Art zu schaffen, genügt es schon, etwas im Internet zu
veröffentlichen, ganz ohne Anmeldekosten. Techem hat sich aber ein
Patent erteilen lassen, das es auch jederzeit offensiv einsetzen
kann".

Prof. Dr. Joachim Henkel, Lehrstuhlinhaber des Dr.
Schöller-Stiftungslehrstuhles für Technologie- und
Innovationsmanagement betrachtet vor allem langfristige
ökonomische Risiken. Aus seiner Sicht fehlt ein "erkennbarer
erfinderischer Schritt" beim Patent EP1437835. Aus ökonomischer Sicht
sieht er keine positiven Effekte und ergänzt: "Allerdings können
negative Effekte auftreten. Wettbewerber werden von der Nutzung einer
offensichtlichen Technologie abgehalten oder müssen dafür
Lizenzgebühren entrichten. Die Folge sind geringerer Wettbewerb,
höhere Preise für Konsumenten, Rechtsunsicherheit und Aufwand für
Rechtsstreitigkeiten. Es kommt zudem zu einem 'Rüstungswettlauf' mit
immer mehr Patenten: Ingenieure patentieren, anstatt zu erfinden".

Für Andreas Neumann ist es eine "fernliegende Vorstellung", dass
die "einfache Division von Zahlenwerten anhand eines an
Speicherplatzbedingungen orientierten Normierungsfaktors
patentgeschützt sein kann". Hierin zeige sich paradigmatisch eines
der Hauptprobleme von Softwarepatenten: "Kleine und mittlere
Unternehmen, die im Bereich der Softwareentwicklung tätig sind",
würden "durch die allgegenwärtige Gefahr einer Patentverletzung
letzten Endes mit einem erheblichen und kostentreibenden
Rechercheaufwand belastet". Als Resultat drohe ein Patentdickicht,
das die Innovationskraft und Dynamik der Softwareentwicklung
nachhaltig reduzieren würde, so Andreas Neumann.

Mit neuen Kandidaten für die Wahl des 'Softwarepatentes des Monats
Mai' - unter anderem von Microsoft, IBM, Lucent Technologies und
Sun geht nosoftwarepatents-award in die nächste Runde. Ab sofort kann
online darüber abgestimmt werden, welches dieser gewährten
Softwarepatente ebenfalls für die Wahl zum 'Softwarepatent des
Jahres 2006' nominiert sein soll.

Originaltext: 1&1 Internet AG
Digitale Pressemappe: http://presseportal.de/story.htx?firmaid=28831
Pressemappe via RSS : feed://presseportal.de/rss/pm_28831.rss2


Harald Talarczyk, authentikom
info@nosoftwarepatents-award.com
Tel: +49 228 / 2804949
Fax: +49 228 / 2803250


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