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Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Thema Wirtschaftswachstum

Geschrieben am 25-07-2008

Bielefeld (ots) - Wir alle sind verliebt in Wachstum. Vor allem
Politiker und Firmenchefs tragen das Wort wie eine Monstranz vor sich
her. Ganz besonders das Wirtschaftswachstum darf nicht enden, und
Manager sprechen sogar dann noch von Nullwachstum, wenn sie
Stagnation oder gar ein leichtes Minus in der Bilanz verschleiern
wollen. »Die Menschen des Westens sind seit langem geprägt vom
ständigen Wachstum in fast allen Lebensbereichen«, schreibt der
Sozialforscher Meinhard Miegel in seinem Buch »Epochenwende« und
ergänzt: »Es wuchs nicht nur ihre eigene Zahl, noch stärker wuchs die
Zahl der Wohnungen, der Automobile, der Straßenkilometer, einfach
alles. Viele können sich eine Welt ohne Wachstum kaum noch
vorstellen. «
Ist Wachstum wirklich das Nonplusultra? In China brummt die
Konjunktur, aber die Wirtschaft auf Hochtouren sorgt gleichzeitig für
gigantische Umweltschäden, für mit Schwermetallen verseuchte Felder
und Flüsse. Ein weiteres Beispiel aus der Wirtschaft: Wenn Konzerne
wie beispielsweise Siemens ausufern, weil sie neue Felder beackern,
auf denen sie keine Erfahrung haben, müssen sie sich oft irgendwann
»gesund schrumpfen«. Die Konzentration auf die Kernkompetenzen kostet
Tausende den Job.
Die Medizin liefert ein weiteres anschauliches Beispiel dafür, dass
Grenzen des Wachstums unvermeidlich und sogar erforderlich sind.
Stammzellforschung darf nicht ungezügelt geschehen. Gesetze müssen
Dr. Frankenstein verhindern: Menschen haben mehr zu bleiben als
Material. Bei allem medizinischen Fortschritt, der selbstverständlich
zu begrüßen ist, wird eine Grenze bleiben: Der Tod lässt sich nicht
wegkurieren.
Die Generation der 40-Jährigen in der Bundesrepublik muss umdenken.
Sie war bislang gewöhnt, dass es immer aufwärts geht, das Einkommen
steigt und die Zahl der Urlaubstage gleich mit. Aber jetzt wächst die
Inflation, Heizen und Autofahren werden immer teurer. Das verfügbare
Einkommen sinkt, statt zu wachsen. Das ist für diese Generation neu,
nicht aber für ihre Großeltern, die die wirtschaftliche Berg- und
Talfahrt vom Ende des Ersten Weltkriegs bis zum Wirtschaftswunder
nach 1945 miterlebt haben. Massenarbeitslosigkeit und galoppierende
Inflation kennen sie nicht nur aus Schulbüchern.
Ein Blick in die Geschichte sollte all jenen, die heute angesichts
steigender Preise den Teufel an die Wand malen, etwas Gelassenheit
bringen. Bis ins vergangene Jahrhundert hinein litten die Europäer
Not, Sattessen war keine Selbstverständlichkeit. Das Wachstum der
Lebensmittelproduktion vertrieb den Hunger. Dieses Kernproblem der
Menschheitsgeschichte ist in Deutschland beseitigt, und die Freude
darüber kann uns über Grenzen des Wachstums auf anderen Gebieten
hinwegtrösten. Die meisten Deutschen leben weiter auf hohem Niveau.
Wir sollten uns von der Illusion lösen, dass Wachstum keine Grenzen
habe. Schon der Volksmund wusste: Bäume wachsen nicht in den Himmel.

Originaltext: Westfalen-Blatt
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/66306
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_66306.rss2

Pressekontakt:
Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261


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