WAZ: Eltern fordern Schulreformen - Gesundbeten reicht nicht. Leitartikel von Sigrid Krause
Geschrieben am 11-08-2008 |
Essen (ots) - So eindeutig fielen die Zahlen noch nie aus: Fast jeder zweite Deutsche hält das Schulsystem für ungerecht und fordert spürbare Reformen. Während Politiker sich weiter verstricken in alten politischen Graben-kämpfen um Erhalt oder Abschaffung deutscher Schultraditionen, ist das Volk offenbar längst weiter. Eine große Mehrheit beweist einen klaren Blick auf die Realität und mag diese nicht länger hinnehmen. Sie fordert, dass Kinder in Deutschland endlich die Schulen bekommen, die sie dringend brauchen: Schulen, die nicht systematisch jene Kinder benachteiligen, die ohnehin auf der Schattenseite des Lebens aufwachsen.
Die Statistik belegt es: Jede vierte Familie in Deutschland hat einen "Migrations-Hintergrund". Sprich: Ein oder beide Elternteile stammen aus dem Ausland, ihre Kinder wachsen mit einer anderen Muttersprache auf. Die Mehrzahl dieser Kinder scheitert bisher im deutschen Schulsystem. Zu viele stehen nach zehn Schuljahren ohne Abschluss da, ohne Chance auf eine eigenständige berufliche Zukunft. Zugleich wachsen auch immer mehr deutsche Kinder in Armut auf - sei es in finanzieller Not oder in psychischer und sozialer Verwahrlosung. Alles ist gleich schlimm, weil sie alle in den seltensten Fällen zu zufriedenen und tatkräftigen Menschen heranwachsen können.
Dass sich dieses Problem nicht von selbst erledigt, ist offensichtlich den meisten Menschen im Land klar. Erstaunlich eindeutig fallen ihre Lösungsvorschläge aus: Dass Schulen in Problemvierteln deutlich besser ausgestattet werden müssen, ist für die meisten Bürger und Eltern offensichtlich keine Frage mehr.
Besonders aufhorchen lässt, dass die Forderung nach Besserstellung - also energischer Bevorzugung - benachteiligter Schulen und Kinder auch von jenen Eltern kommt, deren Kinder ein Gymnasium besuchen. Offenbar sind die doch gar nicht so sehr auf den Erhalt ihrer abgeschotteten "Elite" fixiert, wie ängstliche konservative Politiker dies bislang vermuten. Das sollte ihnen zu denken geben.
Ohnehin wird es Zeit, dass die Politik sich auf die Realität einlässt. Kesse Slogans auf knalligen Plakaten, die vorgebliche Fortschritte in den Schulen des Landes preisen, dürften bei Eltern vom Schlag der Bertelsmann-Studie allenfalls ein Naserümpfen hervorrufen. Nicht Gesundbeten lautet die Forderung der Stunde, sondern Handeln. Überlegt und mit einem klaren Ziel: Bessere Lernbedingungen für alle.
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