Berliner Morgenpost: Ypsilanti ist der Klotz am Bein der SPD - Kommentar
Geschrieben am 02-11-2008 |
Berlin (ots) - Man muss kein Hellseher sein, um sich auszumalen, wie gebannt Kanzlerkandidat Steinmeier, SPD-Chef Müntefering und Krisengewinner Steinbrück nach Wiesbaden schauen. Dort wird maßgeblich über ihre Zukunft entschieden - per hessischem Roulette. Und das geht so: Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti feuert siegesgewiss einen Schuss auf den CDU-Ministerpräsidenten Koch ab. Doch womöglich kehrt die Kugel stracks zurück und erledigt die Kandidatin selbst. So kann es am Dienstag geschehen, wenn der wackelige Dreibund aus SPD, Grünen und Linken nicht geschlossen für Frau Ypsilanti stimmt. Sieger wäre nicht nur Roland Koch, sondern auch die neu besetzte Zentrale der Berliner Sozialdemokraten. Andrea Ypsilanti hat mit der US-Republikanerin Sarah Palin nicht nur die randlose Brille gemeinsam: Sie ist jung und unbefangen, sie ist Frau, telegen - und sie ist ein Klotz am Bein der SPD. Mag sie auch patent erscheinen - ihre Machtschläue reicht nicht für die erste Liga. Es gehört zu den Paradoxien der Politik, dass Ypsilantis Niederlage einen doppelten Gewinn für die Bundes-SPD bedeuten würde: Erstens wäre das rot-rot-grüne Gespenst zumindest bis zur Kanzlerwahl eingesperrt. Und damit ein hässliches Thema, das die Union ein Jahr lang gespielt hätte, erst mal vom Tisch. Klappt ja eh nicht, könnte die Troika nach einer Ypsilanti-Schlappe gelassen erklären. Und zweitens bliebe Roland Koch in Hessen. Ein angeschlagener Ministerpräsident in Wiesbaden ist der SPD allemal lieber als ein rauflustiger Wirtschaftsminister in Berlin. Denn Koch bedient gleich zwei Wählergruppen, die die Kanzlerin vernachlässigt: die Wertkonservativen im Land, die sich der CDU verweigern, und den lahmenden Wirtschaftsflügel. Ein Minister Koch würde der nur mäßig charismatischen Unions-Truppe allemal aufhelfen. Es ist den Grünen zu danken, dass sie gestern beschlossen haben, das hessische Roulette nur eine Runde lang mitzuspielen. Das Trauma von Kiel wirkt nach. Damals, im Frühjahr 2005, diskreditierten die Parlamentarier nicht nur sich selbst und ihre Chefin Heide Simonis, sondern beschleunigten auch den rapiden Machtverfall der SPD, dem Neuwahlen und das Ende der Ära Schröder folgten. Ob wahr oder nicht, bis heute hält sich der Mythos, dass der sinistre Parteilinke Stegner gegen die eigene Reihe gestimmt hatte. In Hessen ist die Konstellation seitenverkehrt: Hier ist es der Reformer Walter, der abweicht. Um nicht in die Stegner-Falle zu tappen und für den Rest seines politischen Lebens stigmatisiert zu werden, spielt Walter von Anfang an offen und stellt sich klar gegen den Koalitionsvertrag. Andrea Ypsilanti war so leichtsinnig, ihren ungeliebten Vize nicht einzubinden. Er hat nichts zu verlieren, aber alles zu gewinnen - wenn sie scheitert. Entweder übernimmt Jürgen Walter nach gescheiterter Wahl den Trümmerhaufen Hessen-SPD und geht in eine große Koalition, so wie damals Stegner. Oder er beginnt eine Karriere in Berlin. Denn von Walter hängen maßgeblich die Perspektiven der Bundes-SPD für 2009 ab. Man muss kein Hellseher sein, um sich auszumalen, dass Ypsilantis parteiinterner Gegenspieler bereits klare Signale aus der Hauptstadt empfangen hat.
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