Westdeutsche Zeitung: Ganztagsschule = von Friedrich Roeingh
Geschrieben am 09-03-2009 |
Düsseldorf (ots) - Vorhersagen haben den Nachteil, dass sie in der Regel nicht eintreten. Insofern ist jeder Versuch müßig, die schockierende Prognose des Kinderschutzbundes auf ihren Wahrscheinlichkeitsgehalt zu überprüfen. Es kommt aber auch gar nicht darauf an, ob in 20 Jahren jedes zweite Kind in sozial schwachen Verhältnissen aufwachsen wird oder "nur" 40 Prozent. Wenn diese Gesellschaft eine prosperierende Zukunft haben soll, dann können wir uns schon heute nicht leisten, dass etwa jeder fünfte Jugendliche nicht ausreichend qualifiziert ist, um im Arbeitsleben Tritt zu fassen. Und die Schere geht unstreitig weiter auseinander: So wird die Geburtenrate bei sozial schwachen und gering qualifizierten Zuwandererfamilien auch in Zukunft höher liegen als in der bürgerlichen Mittelschicht. Das ist kein Plädoyer gegen die Familienpolitik von Ursula von der Leyen, die endlich konkrete Schritte für eine bessere Vereinbarkeit von Kindererziehung und Beruf angestoßen hat. Um allen Kindern in unserer auch künftig reichen Gesellschaft eine angemessene Chance zu bieten, müssen aber noch ein paar mehr Tabus gebrochen werden als das von der fürsorgenden Mutter, die ihre Kleinkinder nicht zur Betreuung abgeben darf. Die Beihilfen für arme Kinder sind so ein Punkt. Offenbar erkennt inzwischen auch die SPD dass diese wirkungsvoller sind als mehr Bares für die Eltern. Man muss die Rückkehr zu einem bewährten Fördersystem ja nicht damit begründen, dass Hartz-IV-Empfänger ihr Geld lieber in Bier und Zigaretten investieren würden. Die Finanzierung elementarer Bedürfnisse von Kindern wie Kleidung und Lernmittel würde auch dazu beitragen, dass der Hartz-IV-Empfänger mit drei Kindern monatlich nicht mehr in der Tasche hat als der angestellte Familienvater mit Vollzeitjob. Wer aber ernsthaft allen Kindern in diesem Land eine Chance geben will, muss viel weiter gehen. Er muss die flächendeckende Ganztagsschule einführen, die allen Kindern ein Mittagessen bietet und sie am Nachmittag von der Straße, vom Computer und auch aus ihrem Umfeld holt, in dem nicht richtig deutsch gesprochen wird. Das bisherige Ganztagsschulangebot erreicht vor allem die bürgerlichen Familien, deren Kinder darauf am wenigsten angewiesen sind.
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