WAZ: Jugendliche und Computer - Mehr Zeit für Kinder. Leitartikel von Julia Emmrich
Geschrieben am 16-03-2009 |
Essen (ots) - Schule aus, Computer an: Wer nachmittags ins Kinderzimmer kommt und den Stecker aus der Dose zieht, löst Katastrophen aus. Für die meisten Jugendlichen ist Freizeit heute ohne Chatrooms, Spiele und Communities undenkbar. Oder, sagen wir es gleich: ein Weltuntergang. Sie erfahren nicht, was los ist. Sie wissen nicht, was geredet wird im virtuellen Freundeskreis, hören nicht, wer gerade mit wem und seit wann. Man vergisst das schnell, aber: Mit 13 kann sich so etwas tatsächlich anfühlen wie der Untergang der Welt.
Man kann nun fragen, ob das schlimm ist. Es gibt durchaus Jugendforscher, die sagen, dass sich das Geschehen eben nur verlagert hat: Von der heimlichen Raucherecke hinter der Turnhalle in eine der vielen Netz-Communities. Und dass gerade Mädchen, die früher stundenlang telefonierten, sich heute eben im Internet verabreden. Was jedenfalls billiger ist, als übers Handy zu telefonieren.
Die Mädchen schwätzen endlos, die Jungen spielen Ballerspiele. Und auch da könnte man wieder fragen: Ist das an sich schon schlimm? Hat sich da nicht auch bloß wieder ein Stück typisches Jungsleben ins Virtuelle verschoben? Sind die meisten Ballerspiele nicht einfach eine andere Form von Spaßkloppe? Und ist die ganze Aufregung am Ende also höchstens ein Problem der Orthopäden, die wissen, dass der Mensch nicht fürs Dauersitzen gemacht ist? Man kann so argumentieren. Man muss sich dann aber eine Frage gefallen lassen: Warum haben nahezu alle Eltern instinktiv ein ungutes Gefühl, wenn sie sehen, wie ihre Kinder stundenlang am Computer hocken und immer weniger von dem tun, was zum Idealbild einer guten Kindheit gehört: Die Welt mit allen Sinnen zu entdecken - statt sie nur anzuklicken.
Der Instinkt der Eltern deckt sich mit vielen Studien, die sagen: Kinder, die regelrecht vor dem Bildschirm aufwachsen, nehmen Schaden. Die Suchtgefahr ist real. Und: Je jünger die Kinder sind, desto schwerwiegender sind die Folgen. Es gibt Hirnforscher, die raten deshalb klipp und klar: Kinder im Vorschulalter gehören überhaupt nicht vor den Bildschirm - weder vor den Computer noch vor den Fernseher. Also doch den Stecker ziehen? Das wäre Steinzeitpädagogik. Mit Belohnungen zum Bücherlesen treiben? Um Himmelswillen, nein. Aber warum nicht mal neue Wege gehen, Rituale im wirklichen Leben schaffen. Sich gegenseitig vorlesen zum Beispiel. Oder: "Du spielst mir deine Musik vor, ich spiele dir meine vor." Das braucht Zeit. Und da fängt die Debatte von vorne an.
Originaltext: Westdeutsche Allgemeine Zeitung Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/55903 Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_55903.rss2
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